Welche Lehre im Tausendjährigen Friedensreich?

Alles rund um die Sondergemeinschaft Neuapostolische Kirche (NAK), die trotz bedenklicher Sonderlehren (u.a. Versiegelung, Entschlafenenwesen mit Totenmission, Totentaufe, Totenversiegelung und Totenabendmahl, Heilsnotwenigkeit der NAK-Apostel, Erstlingsschaft, ..), weiterhin "einem im Kern doch ... exklusiven Selbstverständnis", fehlendem Geschichtsbewusstsein und Aufarbeitungswillen, speziell für die Zeit des Dritten Reiches, der DDR, der Bischoffs-Botschaft ("... Ich bin der Letzte, nach mir kommt keiner mehr. ..."), sowie ihrer jüngsten Vergangenheit und unter erheblichem Unmut ehemalicher NAK-Mitglieder, auch Aussteiger genannt, die unter den missbräuchlichen Strukturen und des auf allen Ebenen ausgeprägten Laienamtes der NAK gelitten haben, weiterhin leiden und für die die NAK nach wie vor eine Sekte darstellt, im April 2019 als Gastmitglied in die ACK Deutschland aufgenommen wird.
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R/S

Re: Welche Lehre im Tausendjährigen Friedensreich?

#21 Beitrag von R/S » 17.11.2013, 13:30

Tergram:
Wie kann man aus dieser wirren Allegorie aus Engeln, Trompeten, Pferden, Schüsseln, Stimmen und sonstigem Zubehör eine Zukunftserwartung, gar eine Hoffnung, sogar einen Glauben konstruieren?
Das hat mit der etwas seltsamen Eigenschaft des Menschen zu tun, lieber mit allen Mitteln die Zukunft wissen als aus der Vergangenheit lernen und damit u.U. die Zukunft verändern zu wollen ... :?

tergram

Re: Welche Lehre im Tausendjährigen Friedensreich?

#22 Beitrag von tergram » 17.11.2013, 14:00

Das mag sein. Aber sollte ein gläubiger Christ nicht seine Zukunft vertrauensvoll in Gottes Hädne legen???

R/S

Re: Welche Lehre im Tausendjährigen Friedensreich?

#23 Beitrag von R/S » 17.11.2013, 16:13

Aber sollte ein gläubiger Christ nicht seine Zukunft vertrauensvoll in Gottes Hädne legen???
Schon, aber das enthebt den Menschen ja nicht notwendigerweise von der eigenen Handlungsfähigkeit und -notwendigkeit. Als ein "Hände-in-den-Schoß-legen-Prinzip" wollten Sie es sicherlich selber nicht betrachten, oder?

Genau in diesem Dilemma liegt des Trudels Kern begraben. Das Pendel christlicher Attribute oszillierte nicht zufällig schon ganz vom Anfang an zwischen den beiden Polen Glaubensstärke (eher paulinisches Heidenchristentum) und Werkgerechtigkeit (jakobinisches Judenchristentum). Die Frage des Verhältnisses zwischen Beten und Arbeiten (in ihrer ganzheitlichen Betrachtung) ist ja nie gelöst worden - eben weil sie im Grunde unlösbar ist. Das ist bis heute so geblieben. Sekten und Sondergemeinschaften tendieren häufig aus systemischen Gründen eher zu einer Art von werkgerechtigkeitsorientiertem Glauben, der sie denn ja auch absetzt vom sog. Mainstream.

Diese Orientierung reicht dann von den bekannten Fehrschen Gebötlein, welche als menschlicher Teil des neuapostolischen Würdigwerdungsprozesses betrachtet wurden, über diverse Nachfolgezwänge bis hin zur Vorstellung, man könne, ja müsse Gottes Plan und Willen – sei es über die Bibel oder mittlerschaftlich (oder beides) – auf irgendeine Art und Weise erschließen. Dafür, so dieser Glaube, hätte Gott ja gerade die biblischen Prophezeiungen gegeben (wozu sonst, so die teilweise weltentrückte Einfalt, sollten sie dienen?).

Von daher war die ganze Apostelbewegung seit Irving anfällig für div. weltgeschichtliche Periodisierungslehren (z.B. Dispensationalimus) und damit verbunden apokalyptische Entrückungslehren (Rapturismus), aufgrund derer nicht nur die Weltgeschichte, sondern auch das Christentum selber nach heilsgeschichtlichen Kategorien eingeteilt werden könnte. Zudem brauchte das Prinzip der Erwählung notgedrungenerweise das Gegengewicht einer Belohnung (auch hier stellt sich die Frage, wozu sonst Erwählung Sinn machen sollte). Insofern sind Erwählung, Würdigwerdung und endzeitliche Erwartung sich wechselseitig tragende Prinzipien, die zusammen eine schlüssige und für viele ungeheuer attraktive Endzeitlehre (das Belohnungssystem) ergeben.

Die Haupttragik liegt indes nicht am Wunsch, die göttliche Weltenuhr lesen und sich dann entsprechend einstellen zu können oder zu sollen, sondern an der Alternativlosigkeit, mit der die jeweiligen Lehren verfochten zu müssen geglaubt werden. Das macht sie einerseits zwar systemisch sehr stabil, aber andererseits psychologisch äußerst gefährlich, weil damit Angstzustände und Mängeltraumata usw. bewusst in Kauf genommen werden, welche nicht nur das gesunde Selbstbewusstsein und die naturgegebene Skepsis usw. vor allem von solchen Menschen zugrunde richten können, die sozialisationsbedingt schon keinen hohen Resilienzfaktor aufweisen, sondern die darüber hinaus auch zu allerlei Sozialhysterien beitragen oder führen (vgl. die diversen Endzeit-„Botschaften“). Aber scheinbar entschädigt die hohe Griffigkeit eines selbsttragenden Glaubensgeländers für vieles …

fridolin

Re: Welche Lehre im Tausendjährigen Friedensreich?

#24 Beitrag von fridolin » 17.11.2013, 16:30

Zudem brauchte das Prinzip der Erwählung notgedrungenerweise das Gegengewicht einer Belohnung (auch hier stellt sich die Frage, wozu sonst Erwählung Sinn machen sollte). Insofern sind Erwählung, Würdigwerdung und endzeitliche Erwartung sich wechselseitig tragende Prinzipien, die zusammen eine schlüssige und für viele ungeheuer attraktive Endzeitlehre (das Belohnungssystem) ergeben.
R/S eine in sich logische Erklärung.
Das Belohnungssystem NAK war für viele atraktiv, bis sie dahinter kamen die versprochenen Belohnungen bleiben aus.

tergram

Re: Welche Lehre im Tausendjährigen Friedensreich?

#25 Beitrag von tergram » 17.11.2013, 17:14

R/S, danke für die tiefgründige und ausführliche Antwort. Ich meinte meinen Einwand viel schlichter... :

Menschen ist nur der Blick auf das Diesseits möglich - eng begrenzt und fehlerbehaftet. Wenn wir nicht mal die diesseitigen Dinge vollumfänglich erfassen können, wie wollen wir uns da anmaßen, Jenseitiges zu erfassen, gar zu bewerten?

Wenn man an eine jenseitige Welt jenseits unserer Vorstellungen glaubt, dann glaubt man auch an Gott. In der Gewissheit, am Ende aller Dinge bei Gott geborgen zu sein, muss doch ein tiefer Friede für den Gläubigen liegen. Verbunden mit der Hoffnung und dem Vertrauen, dass man das Unbekannte getrost Gott überlassen kann und keine eigenen (von Natur aus fehlerhaften) Mutmaßungen braucht.

Wenn dieses Gottvertrauen nicht vorhanden ist, muss man fragen dürfen, was Glaube dann überhaupt sein und bewirken soll.

R/S

Re: Welche Lehre im Tausendjährigen Friedensreich?

#26 Beitrag von R/S » 17.11.2013, 18:29

Wenn man an eine jenseitige Welt jenseits unserer Vorstellungen glaubt, dann glaubt man auch an Gott. In der Gewissheit, am Ende aller Dinge bei Gott geborgen zu sein, muss doch ein tiefer Friede für den Gläubigen liegen.


Das würde eine Gleichsetzung von jenseitiger Welt und Reich Gottes (oder Himmel oder Paradies) voraussetzen und die Vorstellung von negativen jenseitigen Örtlichkeiten oder gar der Hölle leugnen, was wiederum die Frage nach der letztgültigen Gerechtigkeit aufwürfe.
Interessanterweise halten trotz der zunehmenden theologischen Abkehr von Hölle gerade so patriarchalisch gezeugte Sondergemeinschaften wie die NAK eisern an der Höllenvorstellung fest; ebenso wie an jenseitigen ‚Dunkelkammern‘, aus denen die Seelen erst mühevoll herausmissioniert werden müssen. Aber das gehört eben zu einem solchen endzeitlichen Heils- und Entrückungsprogramm, nach denen die Guten ins Töpfchen und die Schlechten in Kröpfchen gelangen. Gleichzeitig stellt es die Legitimationsgrundlage dar für diverse Werkgerechtigkeitstouren außerhalb der jesuanischen Bußvorstellung, die aber wiederum weniger sozial als gehorsamsorientiert sind.

Verbunden mit der Hoffnung und dem Vertrauen, dass man das Unbekannte getrost Gott überlassen kann und keine eigenen (von Natur aus fehlerhaften) Mutmaßungen braucht.
Ja, das war wohl der Gottglaube, denn Jesus ursprünglich vertreten hatte, bevor die Niederschrift seiner Lebensmaxime verkirchlicht wurde. Noch der reumütige mitgekreuzigte Übeltäter brauchte sich keine Sorgen um das Jenseits zu machen – der Begriff ‚Paradies‘ lässt keine jenseitigen ‚Übergangswohnheime‘ zu …

Wenn dieses Gottvertrauen nicht vorhanden ist, muss man fragen dürfen, was Glaube dann überhaupt sein und bewirken soll.
Z.B. Kirchenhörigkeit zur Betonierung von Macht, Ansehen, Status, Pfründen usw., usw.

tergram

Re: Welche Lehre im Tausendjährigen Friedensreich?

#27 Beitrag von tergram » 04.12.2013, 14:58

Zu den Jenseitsvorstellungen/Entschlafenenwesen der NAK hier eine interessante Abhandlung:

http://nak-kritik.ruf-vita.de/doku.php? ... fenenwesen

R/S

Re: Welche Lehre im Tausendjährigen Friedensreich?

#28 Beitrag von R/S » 05.12.2013, 10:36

Thomas hat in seiner geschichtlichen Herleitung der Entschlafenenlehre zurecht auf die kulturbedingt unterschiedlichen Entwicklungsstufen sowohl der alttestamentlich-messianischen als auch der neutestamentlich-christlichen und schließlich der post-aufklärerisch-modernen Eschatologie und Apokalyptik hingewiesen. Darin zeigt sich deutlich, wie sehr nicht nur die Vorstellungen eines Lebens nach dem Tod, sondern damit verbunden auch jene von Endzeithoffnung und Naherwartung von kulturellen und erkenntnistheoretischen Faktoren usw. abhängig sind.

Dadurch relativieren sich die diesbezüglichen NAK-Alleinstellungsmerkmale, indem deutlich wird, wie historisch anders ihre Herleitung und Entwicklung hätte verlaufen können, wie und warum andere Religionsgemeinschaften diesbezüglich andere Lehren entwickelt haben und wie ökumenisch wichtig es somit wäre, die entsprechenden Vorstellungen des christlichen Partners nicht in Bausch und Bogen zu verdammen, sondern ganz im Paulinischen Sinn offen zu sein für das Andere und dessen Gutes zu behalten.

Gleichzeitig zeigen die hier zutage tretenden Entwicklungsmerkmale, wie sehr sie von zeitbedingt menschlichen Vorstellungsgrenzen getragen sind und warum eine Vermischung der unterschiedlichen Ursprünge (messianisch versus christlich) und innerhalb dieser der unterschiedlichen Entwicklungsstufen nicht unbedingt als exklusives Alleinstellungsmerkmal verkauft werden sollte.

Aus einer Rezeptmixtur der griechischen, indischen, italienischen, skandinavischen und deutschen Küche (sofern wir diese Verallgemeinerungen zuzulassen gewillt sind) ist ja auch kaum jemals ein wohlschmeckendes Gericht hervorgegangen – die einzelnen Koch- und Zubereitungsphilosophien sind vielleicht doch ein wenig zu unterschiedlich …

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