Alles hat seine Zeit

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evah pirazzi
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#11 Beitrag von evah pirazzi » 28.11.2007, 19:02

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November


Solchen Monat muss man loben:
Keiner kann wie dieser toben,
Keiner so verdriesslich sein
Und so ohne Sonnenschein!

Keiner so in Wolken maulen,
Keiner so mit Sturmwind graulen!
Und wie nass er alles macht!
Ja, es ist 'ne wahre Pracht.

Seht das schöne Schlackerwetter!
Und die armen welken Blätter,
Wie sie tanzen in dem Wind
Und so ganz verloren sind!

Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt
Und sie durcheinanderwirbelt
Und sie hetzt ohn' Unterlass:
Ja, das ist Novemberspass!

Und die Scheiben, wie sie rinnen!
Und die Wolken, wie sie spinnen
Ihren feuchten Himmelsthau
Ur und ewig, trüb und grau!

Auf dem Dach die Regentropfen:
Wie sie pochen, wie sie klopfen!
Schimmernd hängt's an jedem Zweig,
Einer dicken Thräne gleich.

O, wie ist der Mann zu loben,
Der solch' unvernünft'ges Toben
Schon im Voraus hat bedacht
Und die Häuser hohl gemacht!

So, dass wir im Trocknen hausen
Und mit stillvergnügtem Grausen
Und in wohlgeborgner Ruh
Solchem Greuel schauen zu!


Heinrich Seidel

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tosamasi
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#12 Beitrag von tosamasi » 28.11.2007, 19:35

Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke

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Nur der Einfältige fürchtet die Vielfalt
tosamasi

Hannes

#13 Beitrag von Hannes » 28.11.2007, 20:20

Ich ließ meinen Engel lange nicht los,
und er verarmte mir in den Armen
und wurde klein, und ich wurde groß:
und auf einmal war ich das Erbarmen,
und er eine zitternde Bitte bloß.

Da hab ich ihm seine Himmel gegeben, -
und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand;
er lernte das Schweben, ich lernte das Leben,
und wir haben langsam einander erkannt...


Rainer Maria Rilke
Aus: Frühe Gedichte (Engellieder)

Hannes

#14 Beitrag von Hannes » 28.11.2007, 20:22

Hättest du der Einfalt nicht, wie sollte
dir geschehn, was jetzt die Nacht erhellt?
Sieh, der Gott, der über Völkern grollte,
macht sich mild und kommt in dir zur Welt.

Hast du dir ihn größer vorgestellt?

Was ist Größe? Quer durch alle Maße,
die er durchstreicht, geht sein grades Los.
Selbst ein Stern hat keine solche Straße.
Siehst du, diese Könige sind groß,

und sie schleppen dir vor deinen Schooß

Schätze, die sie für die größten halten,
und du staunst vielleicht bei dieser Gift -:
aber schau in deines Tuches Falten,
wie er jetzt schon alles übertrifft.

Aller Amber, den man weit verschifft,

jeder Goldschmuck und das Luftgewürze,
das sich trübend in die Sinne streut:
alles dieses war von rascher Kürze,
und am Ende hat man es bereut.

Aber (du wirst sehen): Er erfreut.


Rainer Maria Rilke
Aus: Das Marien-Leben (1912)

Hannes

#15 Beitrag von Hannes » 28.11.2007, 20:29

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
niemandes Schlaf zu sein unter so vielen
Lidern.


(R.M. Rilke)



Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen,
ist die Nacht mit Dornen erhellt.


(Anselm Kiefer)

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tosamasi
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#16 Beitrag von tosamasi » 28.11.2007, 20:31

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Es bebet das Gesträuche,
gestreift hat es im Fluge
ein Vögelein.
In gleicher Art erbebet
die Seele mir, erschüttert
von Liebe, Lust und Leide,
gedenkt sie dein.


Liedtext von Georg Friedrich Daumer ( 1800 - 1875 )
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tosamasi

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evah pirazzi
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#17 Beitrag von evah pirazzi » 01.12.2007, 18:58

Ein feines Gedicht zum Advent

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Advent

Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken,
Schneeflöcklein leis herniedersinken.
Auf Edeltännleins grünem Wipfel
häuft sich ein kleiner weißer Zipfel.
Und dort, von ferne her durchbricht
den dunklen Tann ein helles Licht.

Im Forsthaus kniet bei Kerzenschimmer
die Försterin im Herrenzimmer.
In dieser wunderschönen Nacht
hat sie den Förster umgebracht.
Er war ihr bei des Heimes Pflege
seit langer Zeit schon sehr im Wege.
So kam sie mit sich überein:
Am Niklasabend muss es sein.

Und als das Häslein ging zur Ruh,
das Rehlein tat die Augen zu,
erlegte sie direkt von vorn
den Gatten über Kimm und Korn.
Vom Knall geweckt rümpft nur der Hase
zwei- drei- viermal die Schnuppernase
und ruhet weiter süß im Dunkeln,
derweil die Sterne traulich funkeln.

Und in der Guten Stube drinnen,
da läuft des Försters Blut von hinnen.

Nun muß die Försterin sich eilen
den Gatten sauber zu zerteilen.
Schnell hat sie ihn bis auf die Knochen
nach Weidmanns Sitte aufgebrochen.
Voll Sorgfalt legt sie Glied auf Glied,
was der Gemahl bisher vermied.
Behält ein Teil Filet zurück
als festtägliches Bratenstück.
Und packt sodann, es geht auf Vier -
die Reste in Geschenkpapier.

Von Ferne tönt´s wie Silberschellen,
im Dorfe hört man Hunde bellen.
Wer ist's, der in so tiefer Nacht
so spät noch seine Runde macht?
Knecht Ruprecht kommt auf goldnem Schlitten
mit einem Hirsch herangeritten.
Sagt, gute Frau, habt Ihr noch Sachen,
die armen Menschen Freude machen?

Die sechs Pakete, heil'ger Mann,
s' ist alles, was ich geben kann.
Knecht Ruprecht macht sich auf die Reise,
die Silberschellen klingen leise,
im Försterhaus die Kerze brennt,
die Glocke klingt, es ist Advent.

(Vicco v. Bülow alias Loriot)

geir

#18 Beitrag von geir » 02.12.2007, 17:16

Friedrich Hölderlin

Die Stille

Die du schon mein Knabenherz entzücktest,
Welcher schon die Knabenträne floß,
Die du früh dem Lärm der Toren mich entrücktest,
Besser mich zu bilden, nahmst in Mutterschoß,

Dein, du Sanfte! Freundin aller Lieben
Dein, du Immertreue! sei mein Lied!
Treu bist du in Sturm und Sonnenschein geblieben,
Bleibst mir treu, wenn einst mich alles, alles flieht.

Jene Ruhe - jene Himmelswonne -
O ich wußte nicht, wie mir geschah,
Wann so oft in stiller Pracht die Abendsonne
Durch den dunklen Wald zu mir heruntersah -

Du, o du nur hattest ausgegossen
Jene Ruhe in des Knaben Sinn,
Jene Himmelswonne ist aus dir geflossen,
Hehre Stille! holde Freudengeberin!

Dein war sie, die Träne, die im Haine
Auf den abgepflückten Erdbeerstrauß
Mir entfiel - mit dir ging ich im Mondenscheine
Dann zurück ins liebe elterliche Haus.

Fernher sah ich schon die Kerzen flimmern,
Schon wars Suppenzeit - ich eilte nicht!
Spähte stillen Lächelns nach des Kirchhofs Wimmern,
Nach dem dreigefüßten Roß am Hochgericht.

War ich endlich staubigt angekommen,
Teilt ich erst den welken Erdbeerstrauß,
Rühmend, wie mit saurer Müh ich ihn bekommen,
Unter meine dankende Geschwister aus,

Nahm dann eilig, was vom Abendessen
An Kartoffeln mir noch übrig war,
Schlich mich in der Stille, wann ich satt gegessen,
Weg von meinem lustigen Geschwisterpaar.

O! in meines kleinen Stübchens Stille
War mir dann so über alles wohl,
Wie im Tempel, war mirs in der Nächte Hülle,
Wann so einsam von dem Turm die Glocke scholl.

Alles schwieg, und schlief, ich wacht' alleine;
Endlich wiegte mich die Stille ein,
Und von meinem dunklen Erdbeerhaine
Träumt' ich, und vom Gang im stillen Mondenschein.

Als ich weggerissen von den Meinen
Aus dem lieben elterlichen Haus
Unter Fremde irrte, wo ich nimmer weinen
Durfte, in das bunte Weltgewirr hinaus,

O wie pflegtest du den armen Jungen,
Teure, so mit Mutterzärtlichkeit,
Wann er sich im Weltgewirre müdgerungen,
In der lieben, wehmutsvollen Einsamkeit.

Als mir nach dem wärmern, vollern Herzen
Feuriger itzt stürzte Jünglingsblut,
O! wie schweigtest du oft ungestüme Schmerzen,
Stärktest du den Schwachen oft mit neuem Mut.

Jetzt belausch' ich oft in deiner Hütte
Meinen Schlachtenstürmer Ossian,
Schwebe oft in schimmernder Seraphen Mitte
Mit dem Sänger Gottes, Klopstock, himmelan.

Gott! und wann durch stille Schattenhecken
Mir mein Mädchen in die Arme fliegt
Und die Hasel, ihre Liebenden zu decken,
Sorglich ihre grüne Zweige um uns schmiegt -

Wann im ganzen segensvollen Tale
Alles dann so stille, stille ist,
Und die Freudenträne, hell im Abendstrahle,
Schweigend mir mein Mädchen von der Wange wischt -

Oder wann in friedlichen Gefilden
Mir mein Herzensfreund zur Seite geht,
Und mich ganz dem edlen Jüngling nachzubilden,
Einzig vor der Seele der Gedanke steht -

Und wir bei den kleinen Kümmernissen
Uns so sorglich in die Augen sehn,
Wann so sparsam öfters, und so abgerissen
Uns die Worte von der ernsten Lippe gehn.

Schön, o schön sind sie! die stille Freuden,
Die der Toren wilder Lärm nicht kennt,
Schöner noch die stille gottergebne Leiden,
Wann die fromme Träne von dem Auge rinnt.

Drum, wenn Stürme einst den Malm umgeben,
Nimmer ihn der Jugendsinn belebt,
Schwarze Unglückswolken drohend ihn umschweben,
Ihm die Sorge Furchen in die Stirne gräbt,

O so reiße ihn aus dem Getümmel,
Hülle ihn in deine Schatten ein,
O! in deinen Schatten, Teure! wohnt der Himmel,
Ruhig wirds bei ihnen unter Stürmen sein.

Und wann einst nach tausend trüben Stunden
Sich mein graues Haupt zur Erde neigt
Und das Herz sich mattgekämpft an tausend Wunden
Und des Lebens Last den schwachen Nacken beugt:

O so leite mich mit deinem Stabe -
Harren will ich auf ihn hingebeugt,
Bis in dem willkommnen, ruhevollen Grabe
Aller Sturm, und aller Lärm der Toren schweigt.

scholli

#19 Beitrag von scholli » 07.12.2007, 09:34

Moin Hannes und alle :wink:



Es hat der junge Morgen dich gefunden
und badet dich in seinem frischen Licht.
Du hieltst dich tapfer durch die vielen Runden,
hast alle Hindernisse überwunden.
Der Kampf war dir nicht Freude - er war Pflicht.

Doch nimm dir jetzt die Zeit, um dich zu sonnen,
denn heute ist er dein, der helle Tag.
Im neuen Licht hat vieles neu begonnen.
Der Held kehrt heim. Er hat die Schlacht gewonnen
und feiert jetzt, dass er nicht unterlag.

Ein strahlend Licht erhebt sich dort im Osten,
erleuchtet dir das weite, wilde Land.
Der Tag wird gut. Dem Schicksal zuzuprosten
und dieses Glück zur Neige auszukosten,
liegt heute ganz allein in deiner Hand.

Es ist nicht länger Zeit, sich gross zu sorgen.
Dein Einsatz wird mit Frieden dir gelohnt.
Fühl dich in dir und dieser Welt geborgen,
denn so ist dir ein jeder neue Morgen
ein Anfang, dem ein Zauber innewohnt.


Dichter Unbekannt

Hannes

#20 Beitrag von Hannes » 07.12.2007, 10:09

Danke, lieber Chris - alles angekommen (Gruss und Gedanken)!
Ein Gedanke für "Katze":


Befreiung

Es dauerte eine Nacht,
Israel aus Ägypten zu bringen.

Aber es dauerte vierzig Jahre,
Ägypten aus Israel heraus zu bringen.


(unbekannt)

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