Tröstet, tröstet mein Volk ...

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Hannes

#11 Beitrag von Hannes » 05.03.2009, 14:34

Zuflucht noch hinter der Zuflucht

für Peter Huchel
von Reiner Kunze


Hier tritt ungebeten nur der wind durchs tor

Hier ruft nur gott an

Unzählige leitungen lässt er legen
vom dach des leeren kuhstalls
aufs dach des leeren schafstalls
schrillt aus hölzerner rinne
der regenstrahl

Was machst du, fragt gott

Herr, sage ich, es
regnet, was
soll man tun

Und seine antwort wächst
grün durch alle fenster

Hannes

#12 Beitrag von Hannes » 05.03.2009, 14:35

an mein kind

dir will ich meines liebsten augen geben
und seiner seele flammenreines gluehn.
ein traeumer wirst du sein und dennoch kuehn,
verschlossne tore aus den angeln heben.

wirst ausziehn, das gelobte glueck zu schmieden.
dein weg sei frei. denn aller weissheit letzter schluss
bleibt doch zuletzt, dass jedermann hienieden
all seine fehler selbst begehen muss.

ich kann vor keinem abgrund dich bewahren,
hoch in den wolken haengte gott den kranz.
nur eines nimm von dem, was ich erfahren:
was du auch seist, nur eines - sei es ganz!

du bist, vergiss nicht, von jenem baume,
der ewig zweigte und nie wurzel schlug.
der freiheit fackel leuchtet uns im traume-
bewahr den tropfen oel im alten krug!


mascha kaléko

Hannes

#13 Beitrag von Hannes » 05.03.2009, 17:55

Aufhebung

Sein Unglück
ausatmen können

tief ausatmen
so dass man wieder
einatmen kann

Und vielleicht auch sein Unglück
sagen können
in Worten
in wirklichen Worten
die zusammenhängen
und Sinn haben
und die man selbst noch
verstehen kann
und die vielleicht sogar
irgendwer sonst versteht
oder verstehen könnte

Und weinen können

das wäre schon
fast wieder
Glück


(Erich Fried)

autor

#14 Beitrag von autor » 05.03.2009, 18:04

Ihr findet so schöne Sachen. Ach ...

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tosamasi
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#15 Beitrag von tosamasi » 05.03.2009, 19:05

autor hat geschrieben:Ihr findet so schöne Sachen. Ach ...
Ist dir mal um Trost sehr bange
dauert dieser Zustand lange
suche nicht entnervt das Weite
klick auf diese schöne Seite :lol:
Nur der Einfältige fürchtet die Vielfalt
tosamasi

Hannes

#16 Beitrag von Hannes » 06.03.2009, 08:57

Das XVI. Sonett

Immer wieder von uns aufgerissen,
ist der Gott die Stelle, welche heilt.
Wir sind Scharfe, denn wir wollen wissen,
aber er ist heiter und verteilt.

Selbst die reine, die geweihte Spende
nimmt er anders nicht in seine Welt,
als indem er sich dem freien Ende
unbewegt entgegenstellt.

Nur der Tote trinkt
aus der hier von uns gehörten Quelle,
wenn der Gott ihm schweigend winkt, dem Toten.

Uns wird nur das Lärmen angeboten.
Und das Lamm erbittet seine Schelle
aus dem stilleren Instinkt.



Rainer Maria Rilke, zwischen dem 15. und 19.2.1922, Chateau de Muzot

Steppenwolf

#17 Beitrag von Steppenwolf » 06.03.2009, 09:35

Der Welt Lohn

Ir werlte minnære,
vernement disiu mære,
wie einem ritter gelanc
der nâch der werlte lône ranc

beidiu spâte unde fruo.
er dâhte in manige wîs dar zuo
wâ mite er daz begienge
daz er den lôn enphienge
werltlicher êren.

er kunde wol gemêren
sîn lob an allen orten
mit werken und mit worten.
sîn leben was sô vollebrâht
daz sîn zem besten wart gedâht

in allen tiutschen landen.
er hæte sich vor schanden
alliu sîniu jâr behuot;
er was hübisch unde fruot,
schœne und aller tugende vol.

swâ mite ein man zer werlte sol
bejagen hôher wirde prîs,
daz kunde wol der herre wîs
bedenken und betrahten.
man sach den vil guslahten

ûzerweltiu cleider tragen.
birsen, beizen unde jagen
kunde er wol und treip sîn vil,
schâchzabel unde seitenspil
daz was sîn kurzewîle.

wær über hundert mîle
gezeiget im ein ritterschaft,
dâ wær der herre tugenthaft
mit guotem willen hin geriten
und hæte gerne dâ gestriten

nâch lobe ûf hoher minne solt.
er was den frouwen alsô holt
die wol bescheiden wâren,
daz er in sînen jâren
mit lange wernder stæte

in sô gedienet hæte,
daz alliu sældenhaften wîp
sînen wünneclichen lîp
lobten unde prîsten.
als uns diu buoch bewîsten

und ich von im geschriben vant,
sô was der herre genant
her Wirent dâ von Grâvenberc.
er hæte werltlîchiu werc
gewürket alliu sîniu jâr.

sîn herze stille und offenbâr
nâch der minne tobte.

Sus saz der hôchgelobte
in einer kemenâten,
mit fröuden wol berâten,

und hæte ein buoch in sîner hantl,
dar an er âventiure vant
von der minne geschriben.
dar obe hæte er dô vertriben
den tag unz ûf die vesperzit;

sîn fröude was vil harte wît
von süezer rede die er las.
dô er alsus gesezzen was,
dô quam gegangen dort her
ein wîp nâch sînes herzen ger

ze wunsche wol geprüevet gar
und alsô minneclich gevar
daz man nie schœner wîp gesach.
ir schœne volleclichen brach
für alle frouwen die nu sint.

sô rehte minneclichez kint
von wîbes brüsten nie geslouf.
ich spriche daz ûf mîmen touf,
daz si noch verre schœner was
dan Vênus oder Pallas

und alle die gotinne
die wîlen phlâgen minne.
ir antlütz unde ir varwe
diu wâren beidiu garwe
durliuhtec als ein spiegellîn.

ir schœne gap sô liehten schîn
und alsô wünneclichen glast
daz der selbe palast
von ir lîbe erliuhtet wart.
der wunsch enhæte niht gespart

an ir die sînen meisterschaft,
er hæte sîne besten kraft
mit ganzem flîze an si geleit.
swaz man von schœnen wîben seit,
der übergulde was ir lîp.

ez wart nie minneclicher wîp
beschouwet ûf der erde.
ouch was nâch vollem werde
ir lîp gecleidet schône.
diu cleider und diu crône

diu diu selbe frouwe cluoc
ûf und an ir lîbe truoc,
diu wâren alsô rîche
daz si sicherlîche
nie man vergelten kunde,

ob man si veile funde.

Von Grâvenberc her Wirent
erschrac von ir wol zwirent,
dô si quam geslichen.
sîn varwe was erblichen

vil harte von ir künfte dâ.
in nam des michel wunder sâ
waz frouwen alsô quæme.
ûf spranc der vil genæme
erschrocken unde missevar

und enphie die minneclichen gar
vil schône als er wol kunde.
er sprach ûz süezem munde:
«sint, frouwe, gote willekomen!
swaz ich von frouwen hân vernomen,

der übergulde sint ir gar.»
diu frouwe sprach mit zühten dar:
«vil lieber friunt, got lône dir!
erschric sô sêre niht von mir:
ich binz diu selbe frouwe doch

der dû mit willen dienest noch
und aldâher gedienet hâst.
swie dû vor mir erschrocken stâst,
sô bin ich doch daz selbe wîp
durch die du sêle unde lîp

vil dicke hâst gewâget.
dîn herze niht betrâget,
ez trage durch mich hôhen muot.
dû bist hübisch unde fruot
gewesen alliu dîniu jâr,

dîn werder lîp süez unde clâr
hât nâch mir gerungen,
gesprochen und gesungen
von mir swaz er guotes kan;
du wære et ie mîn dienestman

den âbent und den morgen,
du kundest wol besorgen
hôhez lob und werden prîs;
du blüejest als ein meienrîs
in manicvalter tugende,

du hâst von kindes jugende
getragen ie der êren cranz,
dîn sin ist lûter unde ganz
an triuwen ie gein mir gewesen.
vil werder ritter ûzerlesen,

dar umbe bin ich komen her,
daz dû nâch dînes herzen ger
mînen lîp von hôher kür
beschouwest wider unde für,
wie schœne ich sî, wie vollekomen.

den hôhen lôn, den rîchen fromen,
den dû von mir enphâhen maht
umb dînen dienest wol geslaht,
den solt du schouwen unde spehen.
ich wil dich gerne lâzen sehen

waz lônes dir gezichen sol.
du hâst gedienet mir sô wol.»

Den edeln herren tugentrîch
dûhte harte wunderlîch
dirre frouwen tegedinc,

wan si der selbe jungelinc
mit sînen ougen nie gesach,
und doch diu selbe frouwe sprach,
er wære ir dienestman gesîn.
er sprach: «genâde, frouwe mîn,

habe ich iu gedienet iht,
entriuwen des enweiz ich niht.
mich.dunket âne lougen
daz ich mit mînen ougen
iuch vil selten habe gesehen.

sît aber ir geruochent jehen
mîn ze cnehte, sælic wîp,
sô sol mîn herze und mîn lîp
iu ze dienste sîn bereit
mit willeclicher arebeit

unz ûf mînes tôdes zil.
ir hânt sô hôher sælden vil
und alsô manicvalte tugent,
daz iuwer fröudeberndiu jugent
mir vil wol gelônen mac.

wol mich daz ich disen tac
gelebet hân! des fröuwe ich mich,
sît daz ir, frouwe minneclich,
mînen dienst enphâhen welt.
frouwe an tugenden ûzgezelt,

geruochent künden mir ein teil
durch daz wünnebernde heil
daz an iu, schœniu frouwe, lît:
von wannen ir geheizen sît
oder wie ir sît genant,

iuwer name und iuwer lant
werde mir hie kunt getân,
durch daz ich wizze sunder wân
ob ich in allen mînen tagen
ie von iu gehôrte sagen.»


Des antwurt im diu frouwe dô,
si sprach gezogenlîche alsô:
«vil lieber friunt, daz sol geschehen.
ich wil dir gerne hie verjehen
mînes hôchgelobten namen.

dun darft dich niemer des geschamen
daz dû mir undertænic bist.
mir dienet swaz ûf erden ist
hordes unde guotes,
ich bin sô hôhes muotes

daz keiser unde küneges kint
under mîner crône sint,
grâven, frîen, herzogen
habent mir ir knie gebogen
und leistent alle mîn gebot.

ich fürhte niemen âne got,
der ist gewaltic über mich.
diu Werlt bin geheizen ich,
der dû nu lange hâst gegert.
lônes solt du sîn gewert

von mir als ich dir zeige nû.
hie kum ich dir, daz schouwe dû.»

Sus kêrtes im den rucke dar:
der was in allen enden gar
bestecket und behangen

mit unken und mit slangen,
mit kroten und mit nâtern;
ir lîp was voller blâtern u
nd ungefüeger eizen,
fliegen unde âmeizen

ein wunder drinne sâzen,
ir fleisch die maden âzen
unz ûf daz gebeine.
si was sô gar unreine
daz von ir blœden lîbe wac

ein alsô egeslicher smac
den niemen kunde erlîden.
ir rîchez cleit von sîden
vil übel wart gehandelt:
ez wart aldâ verwandelt

in ein vil swachez tüechelîn;
ir liehter wünneclicher schîn
wart vil jâmerlich gevar
bleich alsam ein asche gar.

Hie mit schiet si von dannen.

daz si von mir verbannen
und aller cristenheite sî!
der ritter edel unde frî
dô er diz wunder ane sach,
zehant sîn herze im des verjach,

er wære gar verwâzen,
swer sich wolte lâzen
an ir dienste vinden.
von wîbe und von kinden
schiet er sich aldâ zehant;

er nam das criuze an sîn gewant
und huop sich über daz wilde mer
und half dem edeln gotes her
strîten an die heidenschaft.
dâ wart der ritter tugenthaft

an stæter buoze funden.
er schuof daz zallen stunden,
dô im der lîb erstorben was,
daz im diu sêle dort genas.

Nu merkent alle die nu sint

dirre wilden werlte kint
diz endehafte mære:
daz ist alsô gewære
daz man ez gerne hœren sol.
der werlte lôn ist jâmers vol,

daz muget ir alle hân vernomen.
ich bin sîn an ein ende komen:
swer an ir dienste funden wirt,
daz in diu fröude gar verbirt
die got mit ganzer stætekeit

den ûzerwelten hât bereit.

Von Wirzeburc ich Cuonrât
gibe iu allen disen rât,
daz ir die werlt lâzet varn,
welt ir die sêle bewarn

Konrad von Würzburg *1225 †1287
Zuletzt geändert von Steppenwolf am 06.03.2009, 21:11, insgesamt 1-mal geändert.


autor

#19 Beitrag von autor » 06.03.2009, 18:56

Vielen Dank „Steppenwolf“,

es ist immer eine Freude ein, wenn auch überraschendes, so doch handwerklich gut gemachtes, Gedicht zu lesen. :wink:

Grüße,

a.

Hannes

#20 Beitrag von Hannes » 07.03.2009, 15:29

Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.


Rainer Maria Rilke, aus: Das Buch der Bilder

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