Folgende Predigt stellte ich im alten Forum schon ein, als Tatyana ? dieses Thema dort ansprach.
Christkönigsfest
Thema:
Verlangt Gott den Tod Jesu?
Lesg./Ev.: Lk 23, 35-43
gehalten am 22.11.1998
von E. Gottsmann, OStR
Liebe Christen!
In einem illustrierten Geschichtsbuch habe ich ein Bild gefunden, an das ich nur mit Schaudern denken kann:
drei Männer hängen da mit schiefem Hals und herausgestreckter Zunge an einem improvisierten Galgen, mit einem riesigen Schild um den Hals: „Ich bin ein Verräter„. Jedem, der an dieser Hinrichtungsstätte vorbeikam, sollte bekannt werden,
warum diese drei Menschen sterben mußten.
Solch eine Tafel, „titulus„ genannt, verwendeten auch die Römer bei ihren Hinrichtungen - und auch bei der Kreuzigung Jesu. In drei Sprachen, wie es im
Neuen Testament bestätigt wird, wurde der Hinrichtungsgrund angegeben:
„Jeschua’ nazoraja malka di_jehudaje„ lautete er wahrscheinlich auf aramäisch,
„hic est rex judaeorum„ auf lateinisch und „ho basileús tõn judaíõn„ auf griechisch,
wie man mittlerweile rekonstruiert hat. Nach römischem Recht mußten ja drei Daten auf dem titulus vermerkt sein: der Name des Verbrechers,
seine Herkunft und seine Schuld.
Wenn das so ist, dann wurde Jesus eindeutig als Messiasanwärter hingerichtet, als selbsternannter jüdischer König - und das ist gleichbedeutend mit „Rebell gegen die Römer„.
Uns wird heute gar nicht mehr bewußt, daß sich der Judenhasser Pilatus mit diesem Text ein „nettes, kleines Späßchen„ erlaubte. Die jüdische
Obrigkeit hatte ja Jesus gerade nicht als Messias anerkannt; und nun mußte sie ohnmächtig mit
ansehen, wie der aus „Staatsraison„ den Römern ausgelieferte Jesus ebendiesen Titel bekam. Kein Wunder, daß es sofort Proteste hagelte, die Pilatus bekanntlich mit dem Satz: „Quod scripsi, scripsi„ - „Was ich geschrieben habe, das bleibt!„ beiseitefegte.
Jahrhundertelang haben sich Theologen den Kopf zerbrochen, warum dieser Messiaskönig, der ja
unserer christlichen Überzeugung nach ganz von Gott erfüllt ist, den brutalen Kreuzestod auf sich genommen habe. Und das noch dazu freiwillig,
wie manche Äußerungen der Evangelisten nahelegen!
Ausgerechnet die abstruseste Erklärung für den
Kreuzestod Jesu scheint sich durchgesetzt zu haben - ich habe es noch selber im Religionsunterricht gelernt: Die Sünden der Menschen seien im Angesicht Gottes so unendlich groß, daß sie kein
Mensch mehr sühnen könne, nur noch Gott selbst. Die
Gerechtigkeit Gottes verlange aber nach dieser Sühne, und deshalb habe er seinen Sohn - im Grunde
sich selbst - als stellvertretendes Opfer hingegeben, damit er - der einzige
Sündenlose! - sich für die Sünder hingebe und dadurch Verzeihung erwirke. Auf diese Weise komme auch die Liebe Gottes zu den Menschen zum Zug.
So etwa lautet die „Satisfaktionstheorie„ des Anselm von Canterbury, der im 11. Jahrhundert gelebt hat.
Noch heute halten sich viele Theologen an diese Vorstellung, und sie denken kaum darüber nach, wie sehr sie dem zuwiderläuft, was uns Christus über
Gott sagt. Achten Sie doch einmal darauf, wie oft liturgische Texte und Kirchenlieder diesen Sühnegedanken aufgreifen!
Woher kommt denn diese Vorstellung überhaupt?
Sicher ist sie zuallererst in der natürlichen religiösen Anlage des Menschen
begründet. Schlechtes Gewissen einer höheren Macht gegenüber können einen leicht auf den Gedanken
bringen, daß man für seine Verfehlungen sühnen muß -
und aus der Religionsgeschichte kennen wir tatsächlich unzählige Beispiele, daß
diese fällige „Genugtuung„ auch wirklich durch Tier- und Menschenopfer geleistet wurde, sozusagen
stellvertretend für den Sünder.
Auch im Glauben der Israeliten bis hin zum jüdischen Tempelkult hat das Sünd- oder Bußopfer, das für freiwillig begangene Sünden dargebracht werde mußte, eine große Rolle gespielt. Dabei wurde dem Blut des Opfertieres - eines Stiers oder Schafbocks - eine besondere sühnende Kraft zugeschrieben: es wurde gegen den Tempelvorhang gesprengt, die Hörner des Räucheraltars wurden damit eingerieben,
der Rest wurde am Fuß des Brandopferaltars ausgegossen. Ohne Blutvergießen keine Vergebung! Das war die fest eingefahrene Vorstellung des jüdischen
Denkens.
Gerade in dieser Hinsicht aber hat Jesus durch seine Predigt vom himmlischen Vater mit den herkömmlichen
Vorstellungen gebrochen. Das Gleichnis vom
verlorenen Sohn, dem der Vater bei seiner reuigen Rückkehr bedingungslos verzeiht, und auch das Verhalten Jesu Sündern gegenüber zeigt: nichts anderes als die Liebe Gottes veranlaßt ihn, täglich nach dem Ausschau zu halten, der sich von ihm entfernt hat, und ihn mit offenen Armen zu empfangen
und bedingungslos zu vergeben, wenn er nur freiwillig zu ihm zurückkehrt. Das ist die frohe Botschaft, die Jesus nicht müde wird zu verkünden - und diese Botschaft hält er auch in brutalster Behandlung durch - bis zu seinem Tod.
Deutlicher kann man es nicht zeigen! Da Jesus völlig in Übereinstimmung mit Gott lebt - genau das bedeutet „Gottes Sohn„ in jüdischer Ausdrucksweise -macht er deutlich: Gott selbst, die Liebe in Person, liefert sich den Menschen völlig aus; er nimmt sie so an, wie sie sind, mit aller Bosheit und Gemeinheit; er nimmt es auf sich, daß sie
ihn fertigmachen - und er wehrt sich nicht einmal
dagegen. Alle Menschen sehnen sich danach, absolut und unverlierbar geliebt zu sein;
auch dann - und vor allem dann -, wenn sie ganz und gar nicht liebenswert sind.
Genau diese bedingungslose Liebe zeigt Gott durch den Menschen Jesus: du kannst mich anspucken, du kannst mich zerfleischen, du kannst mich annageln - aber du kannst meine Liebe zu dir nicht zerstören.
Umgekehrt zeigt aber der am Kreuz Hängende auch das:
Zu so etwas seid ihr Menschen fähig! Obwohl ihr so nach Liebe verlangt, macht ihr einen, der euch eben
diese Liebe entgegenbringt, brutal fertig. Der Haß der Finsternis gegen das Licht, der Lieblosigkeit (und damit Gottlosigkeit) gegen die Liebe (und damit gegen Gott) wird hier so offenkundig, daß man es nicht mehr verdrängen oder sich selbst
anlügen kann. Das Kreuz zwingt zu einer Entscheidung! Für Gott, und damit für
die Liebe, für das Leben, für das Glück - oder gegen
Gott, und damit gegen die Liebe, gegen das Leben, gegen das Glück.
Gehen wir einmal von uns selbst aus. Jeder von uns
mag bestimmte Menschen besonders gern. Gerade ihnen verzeiht man eine Menge und läßt Dinge durchgehen,
die man einem weniger geliebten kaum gestatten würde. Aber unbegrenzt würden wir auch an diesem geliebten Menschen nicht festhalten;
irgendwann hat er unsere Zuneigung ausgereizt, irgendwann hat er so gehörig mit seinem Fehlverhalten übertrieben, daß einfach Schluß ist! Alles hat seine Grenze, und jetzt ist sie einfach
erreicht. Die anfängliche Liebe schlägt in
Enttäuschung, vielleicht sogar Haß um -
der andere ist bei mir bis in alle Ewigkeit unten durch! Wir würden das alle verstehen können, denn so eine Reaktion ist einfach menschlich.
Auf diesem Hintergrund wird erst so richtig
deutlich, daß das Verhalten Jesu eigentlich nicht mehr „menschlich„ genannt werden kann. Selbst am Kreuz verzeiht er den höhnisch spottenden religiösen Würdenträgern, dem höhnenden Mitgekreuzigten, den gefühllosen römischen Soldaten, den feigen Freunden, die vorher so groß getan haben: „Ich würde dir sogar in den Tod folgen!„, und die nun spurlos
verschwunden sind. Einer davon - der erste Papst - wollte nicht einmal mehr etwas mit ihm zu tun haben: „Ich kenne diesen Menschen nicht!„.
Diese Liebe Jesu, die er so hartnäckig und unter allen Umständen durchhält, ist -
wie gesagt - nicht mehr menschlich. So kann nur Gott lieben: bedingungslos,unbegrenzt,ausnahmslos.
„Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn!„ - so
jemand kann nur die Verkörperung Gottes sein, wie selbst ein Heide, ein römischer Hauptmann, erkennen muß.
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt!„ hatte Jesus kurz vorher zu Pilatus gesagt.
Mit anderen Worten: meine Königsmacht sieht
anders aus als die eure, die auf Gewalt und Zwang aufbaut! Meine Macht ist die Macht der Liebe, die zwar ohnmächtig erscheint; die durch Gewalt scheinbar leicht besiegt werden kann; die
niemals mit Zwang und Druck arbeiten kann - die aber
letztlich alles besiegen wird, selbst den Tod.
AMEN
Weitere Predigten, die ich dazu immer wieder gerne lese:
http://www.eberhard-gottsmann.de/Gottsm ... reitag.htm
http://www.eberhard-gottsmann.de/Gottsm ... koenig.htm
Tatyana hat einmal eine interessante Frage gestellt. Wenn das Opfer Jesu
notwendig war für die Sündenvergebung, warum konnte Jesu dann schon vor seinem Kreuzestod jemandem die Sünden vergeben? Gibt es also außer dem Opfertod noch andere Möglichkeiten der Sündenvergebung? War der Opfertod lediglich die Konsequenz aus Jesu Leben?
Ich glaube es werden immer Fragen dazu offen bleiben. Jeder muß für sich selbst subjektiv beantworten, womit er glaubensmäßig letztlich leben kann.
Dazu interessant folgende Ausarbeitung:
http://www.dekanat-hof.de/download/ritter.pdf
Den Link stellte übrigens wiwi auf GK einmal ein.
Punkt 6 halte ich z. B. für beachtenswert.
Liebe Grüße
Gaby