Die Steinchensuppe
Eine vorweihnachtliche Gaunerei aus Masuren (wiedererzählt von Michael Steinbach im Dezember 1997)
Vor langer Zeit geschah es in Masuren, dass ein einsamer Wanderer in der Weihnachtszeit an die Tür eines Bauernhofes klopfte. Er hatte eine lange beschwerliche Wanderung hinter sich, zudem war es bitterkalt und da es bereits dunkelte, er großen Hunger verspürte, war es höchste Zeit, für eine sättigende Mahlzeit und ein bequemes Nachtlager zu sorgen.
Der Bauer und vor allem die Bäuerin des Hofes waren als überaus geizig bekannt. Noch nie hatten sie Wanderburschen auf der Durchreise Erfrischungen, eine kleine Mahlzeit, geschweige denn eine einfache Schlafstelle gewährt.
Bei diesem Wanderer kam es anders und das war so:
Auf sein Klopfen öffnete die geizige Bäuerin, war, wie immer, höchst abweisend und knurrte ihn mürrisch an: „Was willst du“? Nun, da der Wanderer wusste wen er vor sich hatte, verlegte er sich auf eine List. Er wies darauf hin, dass es jetzt schlechte Zeiten wären, vor allem für die fleißige Landbevölkerung. So mancher Hof befände sich in großer Not und man wisse oft nicht, womit die vielen hungrigen Mäulern zu stopfen.
Bei diesen einsichtig verständnisvollen Worten entspannte sich das Gesicht der Bäuerin etwas und sie stimmte freundlichere Töne an:
„In der Tat guter Mann, dem Landvolk wird es immer schwerer gemacht und dann kommen auch noch unablässig Fremde, die einem den letzten Bissen Brot vom Tisch wegbetteln“. Der Wanderer versprach sichere Abhilfe für derartig verdrießliche Verhältnisse parat zu haben. Er hätte da ein geheimes Rezept, das zubereitet, so gut wie nichts als Wasser und einige Steine benötige, um eine große Familie satt zu bekommen. Auf seinen Wanderungen hätte es ihm ein uralter weiser Mann im Sterben anvertraut, der es wiederum von einer Reise aus Palästina mitgebracht haben wollte, wo es angeblich dem Nachfahren eines Kochs des weisen König Salomo abhanden gekommen war.
Sogleich verwandelte sich die Bäuerin in eine liebliche und aufmerksame Gastgeberin. Sie bat ihn in die Küche, wies ihm einen behaglichen Platz am wärmenden Herd an und erkundigte sich höchst interessiert nach diesem Wundersuppe.
Der Wanderer jedoch kam nicht sogleich zur Sache. Weitschweifig erzählte er von seinen Wanderungen durch ferne Lande, wusste fesselnd von fremden Menschen und deren seltsamen und geheimnisvollen Gebräuchen zu berichten und, nach längerer Plauderei, wollte er sich unvermittelt wieder auf den Weg machen.
Da platzte es aus der Bäuerin heraus: „Nichts da! Du kommst mir hier nicht eher weg bis ich Dein Geheimnis kenne“. Da war sie wieder die giftige Alte und mit ihrem wohlgenährten Leib verstellte sie ihm die Tür.
„Also gut“, entgegnete der Wanderer, „eigentlich gebe ich dieses Geheimnis niemandem preis. Aber da sie mich so freundlich an ihren Herd geladen und kurze Rast gewährt haben, will ich gerne eine Ausnahme machen“.
Er verlangte nach einem großen Kochtopf. Die Bäuerin schleppte sogleich den größten Topf herbei den sie besaß, brachte frisches Brunnenwasser und goss es in den Topf. Sichtlich erschöpft wartete sie danach gespannt auf das weitere Geschehen.
Als das Wasser anfing zu sieden, und das dauerte wegen der Größe des Kochtopfes recht lange, nestelte der Wanderer aus seinem Tornister umständlich ein in feinsten purpurnen Samt gewickeltes „Etwas“ hervor und legte es vorsichtig auf den Tisch.
Sodann strich er mit sanften Bewegungen seiner Hände beschwörend über das „Etwas“ und murmelte dabei unverständliche fremdländische Worte. Die Alte starrte gebannt. Vor Spannung wie von Sinnen hielt sie es schließlich schweigend nicht mehr aus: „Um Himmels Willen guter Mann, zeigt mir das Geheimnis ehe ich vergehe. Alles will ich geben, um dieses Geheimnis zu besitzen“.
Nach aller Erfahrung war sich der Wanderer sicher, dass er jetzt alles bekommen würde was er wollte. Umständlich wickelte er das „Etwas“ aus dem Samttuch und zum Vorschein kamen sieben Kieselsteine. Vier weiße und drei schwarze. Die Alte blickte verwundert und ungläubig auf. Was sollte das für ein Geheimnis sein, imstande, eine köstlich nahrhafte Suppe hervorzubringen?
Mit einer raschen Handbewegung nahm der Wanderer die Steinchen vom Tisch, begab sich bedächtig und mit seltsam feierlich anmutenden Schritten zum Herd, wo das Wasser in dem Kochtopf inzwischen so sehr brodelte, dass gewaltige Dampfwolken die Küche einhüllten und gab, sachte, sachte, Steinchen für Steinchen in das kochende Wasser hinein.
„Was soll das für eine Suppe geben“, greinte die Alte ungläubig aus dem Hintergrund“, während ihre listigen Augen zugleich jede Handbewegung des Wanderers genauestens verfolgten. „Steinchensuppe“, raunte der Wanderer aus den Dampfwolken zurück. „Gute Frau, bringt mir noch rasch etwas Salz und Pfeffer zum Verfeinern“, fügte er flüsternd an.
„Dazu zehn Eier, reichlich gewürfelten Speck und Suppenfleisch, neun gehäufte Esslöffel Butter, acht Zwiebeln, zwölf große Kartoffeln - wenn vorhanden - falls nicht, täten es vier Pfund Eiernudeln auch – obwohl“, schränkte er stirnrunzelnd ein, „die Qualität der Steinchensuppe durch Eiernudeln minderer ausfällt, weil sich des Geheimnisses ganzer Zauber erst durch Kartoffeln entwickeln und seine ganze Kraft entfalten könnte.
Die Alte schleppte eiligst alles herbei und erkundigte sich vorsichtig einwendend, ob die Suppe nicht noch besser würde, wenn man beides, Kartoffeln und Eiernudeln hinzugäbe. Nach einigem Nachdenken gewährte ihr der Wanderer wohlwollend beide Zugaben.
Wie die Geschichte ausgegangen ist willst du wissen? Sie ging aus wie immer, wenn der Wanderer Hunger hatte und auf geizige Gastgeber traf.
Bald saßen alle gemütlich am Tisch. Unter höchsten Lobestönen über die Wunderkraft salomonischer Kochkünste löffelte man schmatzend und wonnegrunzend die vorzügliche Steinchensuppe, aß dazu frisch gebackenes Brot, trank heißes Honigbier, bis endlich auch noch gut gefüllte Gläser mit kräftigem Branntwein auf den Tisch kamen, um sich heiter verbrüdernd zuzuprosten und die guten alten Zeiten zu feiern.
Jeder war guter Dinge, befand sich äußerst wohl und als man sich tief in der Nacht satt und müde zur Nachtruhe begab, erhielt der Wanderer selbstverständlich das feine Sofa in der guten Stube als Schlafplatz angewiesen.
Am nächsten Morgen erbat sich der Wanderer im Weggehen begriffen höflich seine Kieselsteinchen zurück. Aber da hatte er schlecht gerechnet. Die Alte wollte sie um nichts in der Welt herausgeben und jagte ihn mit einem Knüppel wild fuchtelnd
vom Hof. So schied er ohne seine Kieselsteine und suchte sich neue. Vier weiße und drei schwarze...
Übrigens erzählte mir meine Urgroßmutter, dass zu ihrer Kindheit in vielen masurischen Bauernhöfen im Küchenschrank, gleich neben Pfeffer und Salz, sieben Kieselsteine lagen. Vier weiße und drei schwarze, für Steinchensuppe in der Vorweihnachtszeit.
M. S.
DIE STEINCHENSUPPE...
WAS STECKT DAHINTER...?
ja Engelchen, es könnte so einfach sein, das Leben. Nun stecken in dieser von mir wiedererzählten Geschichte aber eine ganze Menge traurige Wahrheiten. Ich nenne für den Anfang nur mal 3: List, Dummheit und Leichtgläubigkeit. Wenn man es nur geschickt genug anstellt, dann glauben einem die Leute (fast) alles. Beispiele aus dem realen Leben gefällig...?
Liebe Grüße vom Micha
Liebe Grüße vom Micha