Bonhoeffer

Nachricht
Autor
Benutzeravatar
Andreas Ponto
Site Admin
Beiträge: 2340
Registriert: 18.03.2010, 17:55

Bonhoeffer

#1 Beitrag von Andreas Ponto » 05.02.2012, 15:35

... Freie Verantwortung, so Bonhoeffer, "beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis verantwortlicher Tat fordert und der dem, der darüber zum Sünder wird, Vergebung und Trost zuspricht". Hier war der springende Punkt: Der Gehorsam gegenüber Gott muss wichtiger sein als der ängstliche Versuch, sich aus Schuldverstrickungen herauszuhalten. Der Christ muss sich ganz Gott hingeben, selbst auf das Risiko hin, sich womöglich falsch zu verhalten. Der Gottesgehorsam muss zukunftsgerichtet, entschieden und frei sein, und dies ist etwas, was dem blossen Moralisten oder dem gesetzlich denkenden Religiösen nicht möglich ist. ....
aus
Bonhoeffer Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet von Eric Metaxas ISBN 978-3-7751-5271-6

Meine Fragen an uns:

Wie sieht es aus mit unserem Christ sein?

Hat Bonhoeffer uns in heutiger Zeit auch noch etwas zu sagen oder ist bei uns in Kirchengemeinde, Gemeinde, Ort, Gesellschaft und Politik alles im Lot, so dass wir uns als Christen nicht einmischen müssen? Gibt es keine Ausgegrenzten, am Rande stehenden, Benachteiligten mehr?

Ist Christ sein eine zurückgezogene persönliche Sache oder eine sich einmischende, gesellschaftliche, politische Sache?

Bin gespannt auf eure Gedanken, Ansichten, Reaktionen, ...

LG

Andreas

Maximin

Re: Bonhoeffer

#2 Beitrag von Maximin » 05.02.2012, 16:28

:) Andreas,
bevor ich mich (eventuell) zu Deiner Fragestellung einlasse, halte ich es für angebracht, mich über diesen Evangelischen Märtyrer zu informieren. Das kann man z. B. hier tun und das braucht Zeit: http://de.wikipedia.org/wiki/Widerstand ... ozialismus
Hier ein kleiner Auszug:

„Dietrich Bonhoeffer (* 4. Februar 1906 in Breslau; † 9. April 1945 im KZ Flossenbürg) war ein lutherischer Theologe, profilierter Vertreter der Bekennenden Kirche und Teilnehmer am deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

Als gegenüber seinen Lehrern eigenständiger Theologe betonte Bonhoeffer die Gegenwart Jesu Christi in der weltweiten Gemeinschaft der Christen, die Bedeutung der Bergpredigt und Nachfolge Jesu und die Übereinstimmung von Glauben und Handeln, die er persönlich vorlebte.“


Gruß vom Micha :wink:

agape

Re: Bonhoeffer

#3 Beitrag von agape » 07.02.2012, 16:59

Mal am Rande: Ich denke, dass ich fast alle Bonhoeffer-Biografien gelesen habe und ebenso fast alle Dokumente gesehen habe, die es so gibt. (Eberhard Bethge, etc.)
Bonhoeffer ist ein riesengroßes FASS. Man kann sich dem Thema (Deiner Frage) kaum annähern, da Bonhoeffer für Vieles steht. Sein eigener Paradigmenwechsel in seinem Gottesbild (sehr drastisch) , sein politisches Handeln, seine Visionen über Kirche und Cristentum, sein Harren und Hoffen, seine ständige Suche nach Gott (ob er sich wirklich auf Gott verlassen kann); (("Ich muß die Gewißheit haben können, in Gottes Hand und nicht in Menschenhänden zu sein." (Brief an seinen Freund Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel am 22.12.1943) D.B.)) .

Wo will man anfangen zu fragen? Wo aufhören?
Und das in Beug auf unser ganzes soziales Leben?
Kennst Du Bonhoeffers Gottesbild gegen Ende seines Lebens?
Seltsam: ich muss dann immer an Dorothee Sölle denken...

Liebe Grüße,
agape

Benutzeravatar
Andreas Ponto
Site Admin
Beiträge: 2340
Registriert: 18.03.2010, 17:55

Re: Bonhoeffer

#4 Beitrag von Andreas Ponto » 07.02.2012, 18:09

Hallo agape,

schön, dass du dich darauf einlässt.

Zu der von mir im Moment gelesenen Biographie, habe ich kürzlich folgendes auf Grund der Quelle fachlich wohl ernst zu nehmendes Urteil gelesen:
"...Es handelt sich - wenn man dem Buch Gerechtigkeit widerfahren lassen möchte - um einen spannend geschriebenen Roman mit Anklängen an das Leben Dietrich Bonhoeffers. Interessenten, die etwas über Bonhoeffer wissen möchten, sollten dieses Buch unbedibngt meiden."
Quelle: http://www.ekir.de/ibg/ibg-Literatur/ibg-literatur.html

Das Urteil wiegt umso schwerer, als dass diese Biographie ein Bestseller wurde.

Ich werde also nicht umhin kommen, bzgl. Bonhoeffer noch etwas "ernstere" Literatur zu lesen (z.B. Gesamtausgabe der
Dietrich Bonhoeffer-Werke in 16 Bänden (inzwischen 17)).

Aber meine Frage ging ja nicht dem Gottesbild Bonhoeffers nach, sondern seiner wie ich meine klare Sicht auf folgende christliche Notwendigkeit:
Bonhoeffer: "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen."


Und diese Aussage lässt sich nach meiner Meinung auf so vieles Aktuelles übertragen und ist in seiner Konsequenz u. U. hoch brisant.

Daher habe ich in den Raum gestellt, ob und wenn ja was uns das für unser Christ-Sein heute sagt.

Sicher, das ist zum Schluss, wie alles andere auch, individuell von jedem selbst zu beantworten.
Aber ein Austausch dazu ist für die eigene Reflektion, Beweusstwerdung, Sichtweise, Entscheidung sicherlich förderlich.

Gaby

Re: Bonhoeffer

#5 Beitrag von Gaby » 08.02.2012, 18:04

Ich zumindest halte es für wichtig, wenn "Kirche" bzw. die Christen die ihr angehören sich positionieren ...

http://www.lorenzkirche.citykirche-maga ... 050116.pdf

Demokratie ohne das Volk – Wer regiert uns?

Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.Tu deinen Mund auf und richte recht und räche den Elenden und Armen. (Sprüche 31)

Maximin

Re: Bonhoeffer

#6 Beitrag von Maximin » 08.02.2012, 19:09

:) Liebe Gaby,

schön wieder einmal etwas von Dir zu lesen. Da zitierst Du Sprüche 31: „Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. Tu deinen Mund auf und richte recht und räche den Elenden und Armen“.

Ein bedeutsames aber auch ein folgenschweres Wort. Folgenschwer warum? Sieh mal, ich lebe mein Leben schon lange unter einem anderen Gotteswort. Diesem hier:

„ 18 Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« 20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22). 21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Römer 12, 18-21)

Ein aufrechter Christenmensch tut das, was in Sprüche steht: „Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. Tu deinen Mund auf und richte recht und räche den Elenden und Armen.“

Das über andere endgültig zu richten, das überlasse ich „IHM“. Wer in dieser Welt sein Recht einfordern will, der muss bis zum „jüngsten Tag“ warten.

Freilich ist es eine andere Sache, wenn ich z.B. berufsmäßig oder als „hilfsbereiter Nachbar“ verpflichtet bin, auf die Einhaltung des jeweils geltenden Rechts zu wachen.

In dieser unserer heutigen Welt musste ich schmerzlich lernen, dass es
. ein gefühltes,
. ein geschriebenes
. und eben auch ein gesprochenes Recht gibt.

Kannst Du mir eine Unterscheidung dieser dreierlei Rechte sagen…?

Herzlichst Micha :wink:

Adler

Re: Bonhoeffer

#7 Beitrag von Adler » 08.02.2012, 19:18

Ich gebe zu bedenken, dass die Worte: „Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. Tu deinen Mund auf und richte recht und räche den Elenden und Armen“, aus dem Alten Testament stammen und nicht zu einem Christen gesprochen wurden!

Diese Worte wurden dem Königs von Massa, dem Lemuel, von seiner Mutter gesagt und galten diesem als Hilfe zu seiner Amtsführung als König.

Diese Worte lassen sich nicht auf das Tun und Handeln eines Christen, in heutiger Zeit, übertragen!

LG Adler

Maximin

Re: Bonhoeffer

#8 Beitrag von Maximin » 08.02.2012, 22:36

Warum nicht?

Gaby

Re: Bonhoeffer

#9 Beitrag von Gaby » 09.02.2012, 09:36

Ja ... warum nicht? ... war auch gleich mein erster Gedanke ;-)

Wir können m.E. das Alte Testament nicht einfach mal so aus dem christlichen Glauben verbannen denke ich. Außerdem praktiziert das die christliche Kirche aller Couleur auch nicht. Nach wie vor wird über Textstellen aus dem Alten Testament gepredigt. Jesus war ein Jude und er hielt die Schriften hoch die seinerzeit existierten, interpretierte sie für sich allerdings teilweise anders, als die, die am reinen Buchstaben klebten. Wie war das noch? Nach Matthäus 5,17 sagt Jesus: "Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen."

Micha ... "Das über andere endgültig zu richten, das überlasse ich „IHM“."

Ich glaube, dies Zitat ... „Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. Tu deinen Mund auf und richte recht und räche den Elenden und Armen.“ ... hat nichts mit einer Aufforderung zu tun, dass man über eine Person endgültig richten soll, bzw. ist es für mich auch keine Aufforderung zur Gewalt. Beide Sätze handeln davon "Tue Deinen Mund auf" ... es geht also darum, dass sich Gläubige (ich sage jetzt mal nicht Christen, denn die gab es damals in der heutigen Form ja noch nicht) einmischen.
Von einem Politiker las ich mal in einem Interview sinngemäß, glaubwürdig könnten wir unseren menschenfreundlichen Gott nur bezeugen, wenn wir uns als Christen auch für eine menschenfreundlichere Welt engagieren.
Für mich war Jesus durchaus politisch. Er kämpfte dafür, Menschen die von der Gesellschaft ausgeschlossen waren, wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Er tat seinen Mund auf und prangerte Mißstände der damaligen Zeit an ...

Und noch einmal zum "richten" allgemein. Ein Christ soll zwar nicht über einen Menschen (eine Seele) richten, bzw. urteilen und dies Gott überlassen, aber die Taten darf er durchaus richten und verurteilen und darum geht es denke ich, wenn wir unsern Mund aufmachen für die Stummen ... alles andere wäre das berühmte "mit dem Mantel der Liebe zudecken", was wie wir in den Mißbrauchsfällen in der RKK sehen konnten, sehr viel Leid verursacht hat.

In dieser unserer heutigen Welt musste ich schmerzlich lernen, dass es
. ein gefühltes,
. ein geschriebenes
. und eben auch ein gesprochenes Recht gibt.

Kannst Du mir eine Unterscheidung dieser dreierlei Rechte sagen…?


Nun, dass Dinge, die gesetzlich legitim sein können, ethisch, moralisch und vom Glauben aus betrachtet trotzdem falsch sein können, erleben wir ja gerade aktuell, dass Papier sehr geduldig ist, sehen wir im Moment bezüglich der europäischen Verträge auch ständig.
Letztlich sind wir unserm Gewissen verpflichtet und müssen uns eine eigene Meinung dazu bilden und diese dann auch in Eigenverantwortung vertreten.
Unser Glaube sollte der Maßstab sein, denn Jesus sagte nicht umsonst, dass wir Gott mehr gehorchen müssten als den Menschen. Wenn wir auf Grund unseres Glaubens mit dem was um uns herum geschieht nicht einverstanden sind, sollten wir nicht mit den Wölfen (der Mehrheit) heulen, weil es bequemer ist, sondern uns klar positionieren. Bleiben Christen nur unter sich, sind sie nicht Teil der Gesellschaft.
Zudem wird Kirche heute nicht mehr selbstverständlich akzeptiert, sondern muss ihre Identität und ihren Auftrag neu begründen, was wäre da besser geeignet, als den Mund aufzumachen für die Stummen??? Aber dies unabhängig von irgendwelchem Parteien-Geklüngel ... Kirche sollte immer überparteilich bleiben.

Das mal kurz zusammengewürfelte Gedanken von mir zu diesem Thema ...

Adler

Re: Bonhoeffer

#10 Beitrag von Adler » 09.02.2012, 10:11

Zitat:


Wir können m.E. das Alte Testament nicht einfach mal so aus dem christlichen Glauben verbannen denke ich. Außerdem praktiziert das die christliche Kirche aller Couleur auch nicht.

Zitat Ende

Genau DAS ist das Problem des christlichen Glaubens!

Anstatt die von Jesus gelehrte und gelebte Nächstenliebe zu praktizieren, hängt man dem Rachegott des AT nach und meint es selber in die Hand nehmen zu müssen/können, über andere zu richten. (Zum besseren Verständnis: dies bedeutet nicht, dass Gesetzesübertretungen nicht nach den Gesetzen geahndet werden müssen! Alles andere wäre Anarchie!) Aber wer z.B. seinen eigenen Glauben über den eines Anderen stellt, richtet den Anderen!

Jesus sagte dazu: " Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet." (Math. 7 Vers 1)

Was vor Gott als Gerechtigkeit gilt, bleibt für uns Menschen ohnehin ein Geheimnis und einzig seiner Souveränität überlassen.

Warum ist es für Christen so schwer, die drei kleinen Gebote der Liebe zu praktizieren?

Warum muss ein Christ sich dazu noch die Bürde der alttestamentlichen Gesetze aufladen?

LG Adler

Gesperrt

Zurück zu „Politisches Handeln“