Tröstet, tröstet mein Volk ...

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Hannes

#21 Beitrag von Hannes » 07.03.2009, 15:31

Es knospt
von Hilde Domin


Es knospt
unter den Blättern
das nennen sie Herbst.

Hannes

#22 Beitrag von Hannes » 08.03.2009, 07:52

Gebet eines unbekannten Soldaten des amerikanischen Bürgerkrieges


Ich bat Gott um Stärke, damit ich etwas leisten könnte,
doch er gab mir Schwäche,
damit ich demütig zu gehorchen lernte.

Ich bat um Gesundheit, damit ich grosse Dinge täte,
doch er gab mir Schwachheit, damit ich bessere Dinge täte.

Ich bat um Reichtum, damit ich glücklich würde,
doch er gab mir Armut, damit ich weise würde.

Ich bat um Macht, damit ich das Lob der Menschen gewönne,
doch er gab mir Schwachheit, damit ich spürte, dass ich Gott brauche.

Ich bat um alle Dinge, damit ich das Leben genösse,
doch er gab mir Leben, damit ich alle Dinge genösse.

Ich bekam nichts, worum ich gebeten hatte,
doch alles, worauf ich gehofft hatte.

Fast gegen mich wurden alle meine unausgesprochenen Gebete erhört.

Ich bin von allen Menschen am meisten gesegnet.

Lobo

#23 Beitrag von Lobo » 08.03.2009, 14:44

Wegweiser

Was mich mutlos macht
ist daß es so schwer ist
zu sehen wohin ein Weg geht
zum Recht und zur sicheren Zukunft
aber was mir dann wieder Mut macht
ist daß es so leicht ist
zu sehen wo Unrecht geschieht
und das Unrecht zu hassen

Und auch wenn es nicht leicht ist
gegen das Unrecht zu kämpfen
so verliert man dabei
doch nicht so leicht seine Richtung
denn das Unrecht leuchtet so grell
und verbreitet so starken Geruch
daß keiner die Spur des Unrechts verlieren muß

Wenn der Weg zum Recht und zur Zukunft
dunkel ist und verborgen
dann halte ich mich an das Unrecht
das liegt sichtbar mitten im Weg
und vielleicht wenn ich noch da bin
nach meinem Kampf mit dem Unrecht
werde ich dann ein Stück
vom Weg zum Recht erkennen

(Erich Fried)

Hannes

#24 Beitrag von Hannes » 08.03.2009, 20:58

Das bloße Verlangen nach der Wiederholung des Vergnügens ruft Schmerz hervor,
denn es ist nicht mehr das gleiche wie gestern.


Jiddu Krishnamurti, Vollkommene Freiheit

Hannes

#25 Beitrag von Hannes » 08.03.2009, 21:08

Die Wahrheit ist in dieser Zeit so sehr verdunkelt, und die Lüge so allgemein verbreitet,
daß man die Wahrheit nicht erkennen kann, wenn man sie nicht liebt.


Blaise Pascal, Gedanken

Lobo

#26 Beitrag von Lobo » 09.03.2009, 16:11

Und so hebe ich dich denn ...

Und so hebe dich denn
aus den Nebeln des Grams
auf des Selbstvertrauens
mächtigen Fittichen
aufwärts,
bis du dir selber
mit all deinem Leide
klein wirst,
groß wirst
über dir selber
und all deinem Leide.


(Christian Morgenstern)

Lobo

#27 Beitrag von Lobo » 11.03.2009, 13:00

Frühling - die Zeit der Erwartungen, des Knospens und des Blühens, des Erwachens und des steigenden Lichts. Wir leben nicht nur von dem, was uns reift, sondern auch von den Erwartungen, von den Hoffnungen, von den ersten Zeichen, die andeuten, es habe Sinn, Ja zu sagen zu dem Weg auf dieser Erde.

(Jörg Zink, aus "Was bleibt, stiften die Liebenden)

Hannes

#28 Beitrag von Hannes » 02.04.2009, 11:30

Durcheinander

Sich lieben
in einer Zeit
in der Menschen einander töten
mit immer besseren Waffen
und einander verhungern lassen
Und wissen
daß man wenig dagegen tun kann
und versuchen
nicht stumpf zu werden
Und doch
sich lieben
Sich lieben
und einander verhungern lassen
Sich lieben und wissen
daß man wenig dagegen tun kann
Sich lieben
und versuchen nicht stumpf zu werden
Sich lieben
und mit der Zeit
einander töten
Und doch sich lieben
mit immer besseren Waffen


(Erich Fried)

Hannes

#29 Beitrag von Hannes » 02.04.2009, 11:45


In der Flucht
welch großer Empfang
unterwegs –

Eingehüllt
in der Winde Tuch
Füße im Gebet des Sandes
der niemals Amen sagen kann
denn er muß
von der Flosse in den Flügel
und weiter –

Der kranke Schmetterling
weiß bald wieder vom Meer -
Dieser Stein
mit der Inschrift der Fliege
hat sich mir in die Hand gegeben –

An Stelle von Heimat
halte ich die Verwandlungen der Welt –


(Nelly Sachs)

Hannes

#30 Beitrag von Hannes » 02.04.2009, 21:10

Die Silbe Schmerz

Es gab sich Dir in die Hand:
ein Du, todlos,
an dem alles Ich zu sich kam. Es fuhren
wortfreie Stimmen rings, Leerformen, alles
ging in sie ein, gemischt
und entmischt
und wieder
gemischt.

Und Zahlen waren
mitverwoben in das
Unzählbare. Eins und Tausend und was
davor und dahinter
größer war als es selbst, kleiner, aus-
gereift und
rück- und fort-
verwandelt in
keimendes Niemals.

Vergessenes griff
nach Zu -Vergessendem, Erdteile, Herzteile
schwammen,
sanken und schwammen. Kolumbus,
die Zeit-
lose im Aug, die Mutter-
Blume,
mordete Masten und Segel. Alles fuhr aus,

frei,
entdeckerisch,
blühte die Windrose ab, blätterte
ab, ein Weltmeer
blühte zuhauf und zutag, im Schwarzlicht
der Wildsteuerstriche. In Särgen,
Urnen, Kanopen
erwachten die Kindlein
Jaspis, Achat, Amethyst,Völker,
Stämme und Sippen, ein blindes

E s s e i

knüpfte sich in die schlangenköpfigen Frei-
Taue: ein
Knoten
(und Wider- und Gegen- und Aber- und Zwillings- und Tausendknoten),
an dem
die fastnachtsäugige Brut
der Mardersterne im Abgrund
buch-, buch-, buch-
stabierte,
stabierte.


Paul Celan
Aus: Die Niemandsrose

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