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von Brombär » 05.12.2008, 22:06
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Die Stille des Schnees
In meiner Kindheit und Jugend, da war Schnee fast so selbstverständlich, wie heute die Diskussion über Klimaerwärmung und die spätestens im Advent wiederkehrende Frage: Wird es diesmal weiße Weihnachten geben ?
Eines Tages im Dezember lag er plötzlich in der Luft, der Frosthauch des Schnees, der vielleicht schon in der kommenden Nacht fallen würde. Am Morgen erwachten wir durch das Kratzen der Schneebleche, mit denen die Nachbarn die Gehsteige frei schoben. Alle übrigen Geräusche wurden von der wattigen Fülle erstickt.
Geblieben ist über all die Jahre die sorglose Freude an der verwandelten Wirklichkeit, wenn es geschneit hatte, obwohl ja Schnee das Leben beschwerlicher macht.
Normalerweise nehmen wir unsere Schritte nicht wahr. Ein Schritt ist wie tausend andere. Für sich allein bedeutet er nichts. Im Schnee aber, wenn er mühselig und unsicher ist, gelangt der Schritt wieder ins Bewusstsein.
Knirschend sinken unsere warm und fest eingepackten Füße durch das formlose Weiß, tasten nach dem festen Widerstand des Weges. Es liegt Konzentration auf jedem Schritt, dass man geradezu sagen könnte, im Schnee lerne unser Bewusstsein aufs Neue das Gehen. Und es lernt hören. Einen Klang wieder wahrzunehmen, der im täglichen Leben untergegangen ist.
Wenn die Schneeflocken schräg durch die Lichthöfe der Laternen fallen, sanft und sacht, und die gewohnten Konturen auflösen, wird er plötzlich vernehmbar: Der Klang der Stille.
Die Anwesenheit und das verlorene Krächzen der Krähen im Wintermorgenschnee stört uns nicht, sie gehören dazu, sind unentbehrlich.
Und der Schnee fällt weiter in großen dichten Flocken. Lässt Bordsteine verschwinden, krönt Hydranten mit spitzen Hauben. Das Hämmern der Bautrupps erstirbt. Wie erlöst von ihrer unterirdischen Verbannung steigt eine Stille über dem Pflaster auf. Die Stille des Schnees.
( Uwe Prieser )
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