Zur Frage nach der Motivation: Letztes Jahr kam auch die Autobiografie "
Apostelkind" in den Niederlanden auf den Markt, der es zum viel beachteten Bestseller in den niederländischen Medien geschafft hat. Die Autorin - heute eine renommierte Politologin in England - erzählt dabei vom Personenkult, Konformitätsdruck und brutalen Gefühlskontrolle in der grössten niederländischen NAK-Abspaltung, der Apostolisch Genootschap, während ihrer Kinder- und Jugendtage in den 1980er und 1990er Jahre. Ganz andere Brennpunkte als bei der NAK, aber interessante Parallelen. Jedenfalls ist die Apostolisch Genootschap unter den noch verbliebenen Christ/innen in den Niederlanden kein so unbekanntes Lichtchen (wie die NAK) und geriet unter massiven Druck, auch etwas von innen, aber natürlich vor allem von aussen. Auch dort gab es eine sehr ähnlich lautende Verlautbarung, Interviews mit führenden Zeitungen und eine Serie von Aufklärungsgesprächen mit ehemaligen Mitgliedern.
Ich habe keine festen Anhaltspunkte, aber es würde mich schon sehr verblüffen, wenn zwischen den beiden Sachverhalten (gerade schon wegen des zeitlichen Parallelverlaufs) keine Verbindung bestünde...
@exAT: Alles, was Du sagst, ist aus Betroffenensicht vollkommen legitim, aber die Brisanz eines solchen Eingeständnisses wird nur aus Sicht jener erkennbar, die unter massivem Rechtfertigungsdruck stehen. Wann fällt über Politikern normalerweise der Himmel zusammen? Wenn sie einen Skandal noch komfortabel abstreiten können oder sobald man sich handfeste Eingeständnisse abringen lassen muss, um nicht völlig das Gesicht zu verlieren? Public Relations ist gerade im neuen Medienzeitalter ein Dominospiel: Wenn auch nur ein einziges Steinchen fällt, kann er eine ganze Kette zu Fall bringen. Die Eingeständnisse von Fehr zu den Fehlern der Kirche, die er ab 1997 mal langsam durchschimmern liess, waren auch ein Witz gegen das, was ein ehrlicher Kirchenpräsident zu diesem Zeitpunkt öffentlich hätte eingestehen müssen. Aber ab da war das Thema nicht mehr Weg zu kriegen und erst ab da setzte m.E. eine riesige Dynamik an bis dahin treudoofen Schäfchen an, den eigenen Dogmatismus von früher zu hinterfragen, da die Rechtfertigung - die klassische Rolle der NAK und ihre Lehre selbst, die man mit der Liebe und Anerkennung einer Gemeinschaft und eines Gottes verband - plötzlich aus dem ewig gültig geglaubten Muster wegbrach und mit Abschaffung des zweiten Sonntags-GD angefangen kommentarlos jede Heilige Kuh von damals zu schlachten begann. Klar, es gab schon vorher lautstarke Aussteiger/innen, aber der "Erdrutsch der Aktiven" setze aus meiner Sicht dann ein, als die NAK nicht mehr ganz so NAK sein wollte. Bis heute lese ich in NAK-Aussteigerberichten, dass die überwältigende Mehrheit aktive Mitglieder waren, die sich durch den Änderungskurs "verarscht" vorkamen und dann erst den Hut nahmen.
Natürlich hängt die weitere Entwicklung massiv davon ab, wie die Mainstream-Mitglieder damit umgehen. Wie beim Aachener Missbrauchsskandal kann es auch sein, dass man einfach wegschaut und schweigt, allenfalls relativiert. Aber sobald die NAK-KL etwas nicht mehr offen abstreitet oder schlicht ignoriert - so meine Erfahrung - redet man intern tendenziell eher mehr als weniger darüber. Und falls das auch nur einigen weniger mehr den Mut gibt, die eigene Leidensgeschichte mal nach oben zu bringen und die Illusion zu durchbrechen, das seien alles nur Einzelfälle oder bedauerliche Familienschicksale, kann das auch in eine völlig andere Richtung gehen. Mir ist es ja Wurscht wie bahnbrechend und schnell die NAK letztlich in der Talsohle ankommt, darum geht es mir nicht. Aber ich fühle mich persönlich sehr bestärkt in diesen Entwicklungen, etwas Würde und moralische Anerkennung dadurch zurückzugewinnen, dass die Ursache für so viel Leid in meinem Leben und meiner Familie nicht mehr hinsteht und so tut als hätten ich und zigtausende andere einfach einen an der Waffel.
So oder so: Mit diesem Wissen in der Hinterhand kann niemand mehr sagen, er hätte nichts gewusst. Die NAK schafft damit die Erwartung an sich selbst, eine sachliche Debatte zu diesem Thema führen zu können, und Verantwortung übernehmen zu wollen. Wenn das tatsächlich eine Blendgranate sein sollte, dann eine, die ordentlich nach hinten losgehen kann und eigentlich nicht in ihr übliches Waffenarsenal passt.