Lieber Musikuss,
es hat ein bisschen gedauert, aber ich möchte gerne auf einige Punkte deiner Antwort eingehen.
mich würde interessieren: wie lange ist es her, dass du aus der NAK ausgetreten bist?
Das hat nichts mit dem Zeitpunkt meines Austritts zu tun. Wie bei vielen hier bin auch ich in einer neuapostolischen Kirche aufgewachsen und in meiner Familie und meinem kirchlichen Bekanntenkreis bin ich die Einzige, die ausgetreten ist. Ich bin also nach wie vor informiert und bekomme hautnah mit, was in unserem Kirchenkreis hier so vonstatten geht. Insofern würde ich in meinem Fall nicht von einer Aussensicht sprechen, auch wenn ich natürlich die Gottesdienste oder andere Veranstaltungen nicht besuche, abgesehen natürlich von Jubiläen, Taufen, Inruhesetzungen oder dergleichen.
Ich bin ungefähr in deinem Alter und seit jeher in meiner Gemeinde aktiv, u.a. als Amtsträger. Ich verfolge die Entwicklungen in den deutschen Gebietskirchen intensiv (da gibt es unterschiedliche Tempi und Mentalitäten)
Hier kann ich zustimmen: betrachtet man einzelne Gemeinden im Vergleich klaffen die Entwicklungen teilweise recht eklatant auseinander. Im Zweifel sind jedoch alle progressiven, auf Teilhabe ausgerichteten Bemühungen auf Gemeindeebene von dem Wohlwollen übergeordneter Ämter abhängig. Genau diese „Amtsabhängigkeit“ (die nicht nur das Apostelamt betrifft) steht meiner Meinung nach einer grundlegenden Reform im Wege. Diese Sichtweise ist sicherlich meinem Kirchenverständnis und dem wie ich „Gemeinde“ verstehe geschuldet. An dieser Stelle muss – oder sollte – sich jeder Christ wahrscheinlich im Laufe des Lebens einmal ernsthaft mit der Frage beschäftigen, was das „Evangelium“, die Botschaft Christi, in ihrem Kern wirklich ausmacht. Ist das eine Botschaft der Hierarchie, des Amtes, der Dominanz und der Institutionen? Oder ist das was Evangelium ausmacht nicht vielmehr, dass all diese menschlich aufgepfropften Dinge von dem ureigenen Wesen der Botschaft Christi aufgehoben und transzendiert werden? Natürlich braucht man Organisation, Regeln und Formen, die das Zusammenleben und das Verwalten bzw. die Durchführung der Sakramente innerhalb der Gemeinde und Kirche ordnen. Ich persönlich finde diese evangelische Botschaft für mich am ehesten hier in der Landeskirche und im protestantischen Glauben. All die oben aufgezählten Punkte sind eben auch ein Grund warum ich mich z.B. nicht zur römisch-katholischen Kirche bekennen könnte.
Diese Art von Machtmissbrauch durch Geistliche, Lehrkräfte, Eltern etc. kann ich mir heute allerdings nicht mehr vorstellen.
Das möchte man sich natürlich nicht vorstellen. Die Frage ist, ob Mechanismen bzw. Prozesse implementiert wurden, die solchem Machtmissbrauch vorbeugen? Und wenn ja, welche das ganz genau im Detail sind. Es ist nunmal leider so, dass sich das Gefühl von Macht im religiösen Kontext grundsätzlich aus einem göttlichen Sendungsbewusstsein ableitet. Das ist irgendwo auch ein theologisches Problem. Und meinem Dafürhalten nach sind hierfür Konfessionen prädestiniert, die ihre postulierte göttliche Sendung und Bevollmächtigung als vorrangig empfinden. Ich denke, das ist in der NAK nach wie vor der Fall. Dazu muss man nur den Katechismus aufmerksam lesen. Noch einmal: ich sage nicht, dass dies allein ein Problem der NAK ist. Ich bin aber nach wie vor nicht überzeugt, dass sich die NAK mit den Wurzeln dieses Problems wirklich tiefgehend auseinandergesetzt hat. Hier ist z. B. die katholische Kirche ein gutes Stück weiter. Hier wurden mittlerweile von vielen Diözesen Anlauf- und Beratungsstellen für von religiös-geistlichem oder sexuellem Missbrauch Betroffenen eingerichtet. Auch wird sich des Themas immer mehr in der Forschung und im Studium, sowohl fachspezifisch im Theologiestudium als auch in der Pastoralausbildung angenommen.
Zum einen lässt sich heute keiner mehr in die persönliche Lebensführung dreinreden.
Dann gehöre ich wohl zu den armen Irren, die sich haben dreinreden lassen.
Der Satz ist zutiefst entlarvend, diffamierend und verurteilend. Es ist also nicht das Fehlverhalten eines Laienpriesters, der sich in seinem Sendungsbewusstsein gefällt und dem Ratsuchenden mit dem Verlust des ewigen Heils droht, sondern mein persönliches Versagen dieses zugelassen zu haben. Für mich reinster neuapostolischer Geist.
Zum anderen gibt es mittlerweile ein umfangreiches Schulungsangebot für Amtsträger, Lehrkräfte und Gemeindemitglieder, die besondere Funktionen ausüben. Grundlage ist in jeder Gebietskirche ein Leitbild ("Dienen und Führen"); im Einführungsseminar geht es um das Menschen- und Gottesbild, Kirchen- und Amtsverständnis und ein erheblicher Teil nimmt das Thema Kommunikation ein. Vortragende sind dabei keine hochrangigen Amtsträger, die das aufs Auge gedrückt bekamen, sondern bspw. Kommunikationsexperten, Mediatoren etc., die aus der täglichen Praxis berichten können und auch praktische Übungen mit den Teilnehmern machen.
Es ist natürlich gut und lobenswert, dass es mittlerweile entsprechende Schulungen gibt. Ich denke dennoch, dass die seelsorgerliche Qualität generell in der NAK deutlich niedriger anzusiedeln ist als in den Landeskirchen, speziell der Evangelischen. Ich möchte nicht bestreiten, dass es gewiss hier wie auch dort Ausnahmen von der Regel gibt, so wie überall. Einerseits ist das sicherlich das Resultat der professionelleren Ausbildung evangelischer Theologen und Seelsorger. Andererseits bieten z. B. die evangelischen Landeskirchen und auch die römisch-katholische Kirche eine Vielzahl von übergeordneten und unabhängigen Beratungsstellen für eine Vielzahl von Problematiken an (wie bereits oben erwähnt). Diese Stellen bezeichne ich als unabhängig, weil sie der täglichen Gemeindearbeit an zentraler Stelle übergeordnet sind und unabhängig von den Ortsgemeinden agieren. Auf subjektiver Ebene möchte ich zudem noch anmerken, ohne dass ich hier generalisieren kann, denn ich habe das ja nicht wissenschaftlich erhoben, dass ich die Erfahrung gemacht habe, dass die Schweigepflicht in den Landeskirchen und auch der römisch-katholischen Kirche deutlich gewissenhafter befolgt wird.
Dem potentiellen Thema des sexuellen Mißbrauchs stellt man sich kirchlicherseits: die deutschen Gebietskirchen fordern von Amtsträgern und Funktionsträgern, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, mittlerweile ein Führungszeugnis, es gibt Seminare zur Achtsamkeit hinsichtlich übergriffigem Verhaltens (das kann ja bereits subtil stattfinden), und jeder muss einen Verhaltenskodex unterschreiben.
Hierzu kann ich nichts anmerken. Es ist gut, dass die Amts- und Funktionsträger dahingehend sensibilisiert werden. Sind auch die Gläubigen sensibilisiert worden und haben sie Ansprechpartner und unabhängige Stellen an die sie sich bei Fehlverhalten wenden können? Wo finden sie diese Stellen? Werden diese Stellen öffentlich gemacht oder geht das wieder die gemeindeinterne Ämterstufe hoch und runter?
Was Demokratie angeht, müsste man genauer definieren, was man diesbezüglich will - und was möglich bzw. sinnvoll ist. Ich kenne viele Gemeinden, in denen ein hoher Beteiligungsgrad besteht und die Gemeindegremien für die vielen Tätigkeitsbereiche einer Gemeinde eingeführt haben; die Gremien arbeiten und entscheiden eigenständig, besprechen sich aber natürlich ein bis zweimal pro Jahr mit der Gemeindeleitung. In finanziellen Dingen (Anschaffungen, bauliche Gegebenheiten) kommen Impulse aus der Gemeinde, die der Vorsteher entweder umsetzen kann oder weitergibt.
Und wieder hängt die Umsetzung vom Gutdünken eines einzelnen, übergeordneten Amtes ab.
ich weiß, dass sich die Entscheidungsträger das nicht einfach machen und auch auf Gemeinde- und Bezirksebene darüber ein intensiver Austausch stattfindet, wer geeignet sein könnte.
Es ist schön, dass das im Ämterkreis (mittlerweile) engagiert diskutiert wird. Die betroffenen Gemeindemitglieder haben dennoch an diesen Diskussionen so weit ich es sehe keinerlei Anteil oder werden auch nur angehört. Wäre das nicht gerade auf Gemeindeebene sinnvoll? Ich kann schon nachvollziehen, dass man Bedenken hat, dass auf diese Art und Weise Persönlichkeitsrechte verletzt werden könnten. Ich frage mich nur, warum nicht wenigstens kommuniziert wird, warum ein bestimmtes Amt wohin auch immer vergeben wird. Man kann doch die Pro-Gründe ganz offen kommunizieren, ohne jemand anderem auf die Füße zu treten? Ich habe hier nach wie vor den Eindruck, dass alle Entscheidungen hinter verschlossenen Türen unter dem mystischen Schleier der Gottgewolltheit getroffen werden.
Die Kirchenleitung wird traditionell ebenfalls nicht basisdemokratisch gewählt. Aus unserem traditionellen Selbstverständnis heraus wäre die Wahl von Amtsträgern und Kirchenleitung wohl auch etwas, was sich die Wenigsten Kirchenmitglieder vorstellen könnten.
Das stimmt selbstverständlich. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz und, auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, jeder muss sich fragen: was ist Kirche für mich? Was ist Gemeinde? Was ist Evangelium?
Selbst wenn man eine demokratische Ausgestaltung zuließe, hätte man wahrscheinlich Probleme, jemanden zu finden, der sich zur Wahl stellt.
Das heißt im Umkehrschluss jemand wird gezwungenermaßen ins Amt gedrängt? Sorry, falls das provokant rüberkommt, aber ich frage mich was das was du schreibst grundsätzlich bedeutet. Bin mir nicht sicher wie ich das verstehen soll.
Das Apostelamt als autokratisch zu bezeichnen, geht mir zu weit.
Wie würdest du es denn bezeichnen?
Das mag früher auf den einen oder anderen zugetroffen haben, es kommt aber eine neue Generation nach, die mW in einem sehr offenen Dialog mit Bezirks- und Gemeindeleitungen steht, ebenso mit den Kirchenmitgliedern. Denkverbote, wie du und ich sie aus der Kindheit oder Jugend kennen, haben da keinen Platz mehr. Das schließt nicht aus, dass es eine geistliche Führung gibt bzw. dass diese notwendig ist.
Aber darf diese geistliche Führung auch in Frage und Zweifel gestellt werden? Darf über Entscheidungen diskutiert werden? Oder verleugne ich dann fast schon automatisch Gottes Willen und setze mein Seelenheil aufs Spiel?
Die Heilsnotwendigkeit des Apostelamts ist aus NAK-Sicht die "sichere Bank", spricht aber mittlerweile nicht mehr den anderen Kirchen die Wirksamkeit von Amt und Geist ab.
Dann ist es ja keine Notwendigkeit mehr, oder? So ein bisschen nach dem Motto: na ja, Gott kann ja noch eingreifen, wenn er will. Das macht für mich irgendwie gar keinen Sinn und ist einfach ein Punkt, den ich nicht nachvollziehen kann. Für mich hat Christus schon das Heil gespendet – einmal vollbracht, vollgültig, ewiggültig. Ein Mensch, ein Amt kann nicht mehr machen als was Christus schon vollbracht hat.
Soweit mal meine Innensicht zu deiner Aussensicht auf die NAK.
Ich möchte noch kurz anmerken: danke, dass du dir die Zeit genommen hast zu antworten und deine Sicht zu schildern und zwar auf sehr angenehm sachliche und konstruktive Weise.
Gruß,
Viola