Kirchenaustritte weiter auf hohem Niveau - Kirchen reden sich die Zahlen schön?!

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Andreas Ponto
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Kirchenaustritte weiter auf hohem Niveau - Kirchen reden sich die Zahlen schön?!

#1 Beitrag von Andreas Ponto » 25.07.2018, 23:26

Soeben lese ich im Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg Ausgabe 30 vom 29.07.2018* über die Entwicklung der Mitgliederzahlen 2017 in der württembergischen Landeskirche:
... zum ... 31. Dezember 2017 waren ... 2 022 740 Menschen Mitglied ...
Zum Vorjahr sind das 31.765 (1,54%) weniger.
Die Änderung ergibt sich lt. dem Artikel wie folgt:
- 17.700 Taufen
- 27.800 Verstorbene
- 2.000 Eintritte
- 17.300 Austritte

Die Schlussfolgerung des Artikels lautet wie folgt:
... Insgesamt sind 2017 mehr Menschen in die Landeskirche ein- als ausgetreten.
In einem weiteren Artikel wird über die badische Landeskirche berichtet:
Gegen den Trend ...
Im Vergleich zum Vorjahr seien es nun 18 500 Mitglieder weniger. Neuer Stand: 1,16 Millionen.
Die Änderung ergibt sich lt. dem Artikel wie folgt:
- 10.533 Austritte (Vorjahr: 10.729)
Daraus wird knapp gefolgert:
... Weil jedoch mehr evangelische Christen in Baden gestorben sind, als durch Taufe neu dazu kamen, ging die Gesamtzahl der Mitglieder der Landeskirche um 18 500 auf 1,16 Millionen zurück.
Mindestens grenzwertig ist für mich die Formulierung: "... Weil ... mehr evangelische Christen ... gestorben sind, als durch Taufe neu dazu kamen ... 18 500 ..."

Unter dem Titel "Kirchen verlieren 2017 mehr als 600.000 Mitglieder" argumentiert evangelisch.de ähnlich:
... Ursache des Mitgliederschwundes ist vor allem der demografische Wandel. ... Zugleich lag die Zahl neu oder wieder gewonnener Mitglieder höher als die der Austritte....
Die neu oder wieder gewonnenen Mitglieder (Taufen und Eintritte) werden den Austritten gegenübergestellt.
Aber die Verstorbenen bleiben bei diesen Vergleichen außen vor und man kommt so zu der Aussage: "... höher als die Austritte...".

Das ist aus meiner Sicht unredlich.
Sind die Verstorbenen denn in der Gesamtzahl der Mitglieder enthalten? Nein.
Die Getauften sind also den Verstorbenen gegenüber zu stellen und die Eintritte den Austritten.

So wird ein Schuh draus:
Beide Trends, nämlich der demographische Wert und das Verhältnis Ein- zu Austritt sind negativ. Das Verhältnis Ein- zu Austritte sogar deutlich höher als der demographische Faktor!

Nachfolgend wird die Aussage "...vor allem der demographische Faktor..." als falsch entlarvt.

Ergebnis Taufe abzgl. Verstorbene:
württ. Landeskirche: -10 100
bad. Landeskirche: -7 967
EKD: -170 000

Ergebnis Ein- abzgl. Austritte:
württ. Landeskirche: -15 300
bad. Landeskirche: -9 402
EKD: -220 000

EKD-weit stehen immerhin 180 000 Taufen den 350 000 Sterbefällen gegenüber; mickrigen 25 000 Eintritten stehen dagegen 220 000 Austritte gegenüber.


Fazit:
Nicht der demographische Wandel setzt den Kirchen zu, sondern der demographische Wandel wird durch Abkehr von der Kirche und dem damit verbundenem aktivem Austritt noch übertroffen! Einmal in absoluten Zahlen gesehen, aber um einen erheblichen Faktor stärker, wenn man das Verhältnis misst. Während Taufen zu Sterbefälle lediglich im Verhältnis ca. 1:2 stehen, sind Eintritte zu Austritte im Verhältnis von fast 1:9 weit abgeschlagen.

An der Demographie etwas zu ändern ist für eine Kirche schwer, aber sicher nicht unmöglich, wenn sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wird und sich für eine entsprechende Familienpolitik einsetzt, für die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Job steht, daran mitarbeitet dass den jungen Familien trotzdem durch entsprechende Betreuungsangebote die Familienplanung ermöglicht wird und Familien so nicht vor die Wahl gestellt werden Kind(er) oder Karriere. Immer mehr Frauen sind eben nicht bereit hier weiterhin zurückzustehen. Hier ist Kirche nicht aktiv genug, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, den demographischen Faktor drehen zu können. In Frankreich ist die Geburtenrate über Jahrzehnte auf einem stabilen Niveau von 2 Kindern gewesen. Inzwischen ist dort aber auch der Wurm drin. Schade nur, dass Kirche und Diakonie hier in Deutschland seit Jahrzehnten nichts zu Wege gebracht haben.

Wesentlich mehr Möglichkeiten hat Kirche jedoch, wenn sie sich dem Verhältnis Eintritte zu Austritte stellt. Da ist richtig der Wurm drin. Denn Austritte haben nur vordergründig mit dem Sparen von Steuern zu tun.

You have to face this facts! Nur dann kommt Kirche in die Position, tatsächlich Hand anzulegen und sich zu bewegen!

Centaurea


Weitere Quellen:
Kirchenschrumpfen weiter. Badische Zeitung 21.07.2018

*ja ich weiß, aber das Datum stimmt tatsächlich.

Sverdrup

Re: Kirchenaustritte weiter auf hohem Niveau - Kirchen reden sich die Zahlen schön?!

#2 Beitrag von Sverdrup » 31.08.2018, 23:47

Schönfärberei ist bei Kirchen Tradition. Mein Versuch einer objektiven Sicht auf die beiden großen Kirchen in Deutschland:
1. RKK: eine ungeheuerliche Menge an unbewältigten Geschehen und Verbrechen: die Konstantinische Schenkung, Päpstin Johann VIII, die Borgias, drei Päpste in Konkurrenz, Ablasshandel, Hexenprozesse, Kooperation mit der Mafia, Geldwäsche, Missbrauch Schutzbefohlener, Exorzismen, Aufzählung unvollständig.
Für mich kaum nachvollziehbar, wie vernunftbegabte einer derartig verdorbenen Institution weiter ihre Kinder anvertrauen. Es wird wohl etwas länger als bei EKD-Mitgliedern dauern, bis die Mehrheit den vom Anfang her schlechten Beweggrund erkennt: Rom anerkennt Christus aufgrund materieller Vorteile (Sieg in einer Schlacht) und weil diese Bewegung nicht aufzuhalten ist, Verbeamtung und Korrumpierung. Der Kaiser wird durch den Papst als Christi Stellvertreter ersetzt, aber sonst bleibt alles wie vorher.
Wer als weltfremder Gläubiger heute katholische Theologie studiert, muss ständig die RKK-Vergangenheit, die Verbrechen nicht nur verdrängen, er muss wider bessre Erkenntnis bekennen, dass die Unterwerfung unter den Pontifex maximus unabdingabr sei zum Seelenheil. Oh welch seiiger Gewinn, dass ich des Papstes eigen bin. Heil Papst - salve papam !!

Der Fürst spricht zum Pfarrer: halte Du sie dumm, dann kann ich sie arm halten !

Aktuelles Beispiel: Vaticlan intrigiert gegen die italienische Regierung. Diese sollte sich auf das NT / Paulus berufen: seid der Obrigkeit untertan - die Obrigkeit heute ist - sorry RKK - die Regierung, nicht mehr der Papst.

2. EKD: Luthers bewundernswerter Mut, Luthers Verdammnis der Bauern, Bultmanns HKM. "Die Bibel sagt unmittelbar gar nichts." (Prof. Angelika Standhartinger in "evangelisch.de") Dies bedeutet für das NT: was dort steht, kann nicht so gelten, wie es geschrieben steht. Eine Begründung dafür wird m.E. nicht geliefert, wenn man davon absieht, dass "Wunder" Jesu soo nicht geschehen sein können, weil es jeder menschlichen Erfahrung widerspräche.
Heute glauben fast alle Menschen an den Urknall ( eine Singularität ), an Gewinnversprechen von Anlageberatern, an Aussagen ihrer Lieblingspolitiker, an Avatare, an Gestalten in Computergames, Lichtschwerter usw. Wer als Theologie-Student und angehender EKD-Pastor 12 Semester Bultmann'sche HKM verinnerlichen musste, wird wohl kaum glaubwürdig über Jesus Christus predigen können, der Ostergraben ist davor ! Ich bewundere umso mehr EKD-Seelsorger, welche sich über Bultmanns Thesen ohne jedes Zögern hinwegsetzen.

Sverdrup

Re: Kirchenaustritte weiter auf hohem Niveau - Kirchen reden sich die Zahlen schön?!

#3 Beitrag von Sverdrup » 13.09.2018, 19:56

FAZ online heute: << Bistum Mainz bittet Eltern an hessischen Schulen zur Kasse >>

Ab kommendem Schuljahr müssen zunächst nur Fünftklässler 90 / 50 / 10 Euro monatlich für das erste / zweite / dritte Kind zahlen für den Besuch der katholischen Schulen ( circa 3400 Schüler ). Ab Schuljahr 2020/2021 gilt diese Verpflichtung dann für alle Schulkinder an katholischen Schulen. Wenn die Zahlen sozusagen nicht mehr schön zu reden sind, sollen die Eltern zahlen. Mainz wie es zwingt und kracht ......
Eltern von katholischen Schulen in Rheinland-Pfalz werden dagegen kein Schulgeld zahlen müssen.

Die RKK steht gegenwärtig im Fokus der Medien und tlw. der Kritik, ich wünsche mir sehr, dass deren Funktionäre möglichst bald wahr nehmen, welche Fragen und ungelösten Probleme ihre Gläubigen bewegt. Das Internet hat sicher vielen Sekten das selbstgezimmerte wackelige Glaubensfundament zerschossen, sehr zu begrüßen; diese Entwicklung wird auch bei den beiden großen Kirchen Deutschlands nicht aufzuhalten sein.

PS: Neuapostolische Eltern, deren Kinder - mangels Alternative - eine der Mainzer katholischen Schulen besuchen, sollten klären, ob das Schulgeld vom Opferzehnten abgezogen werden darf....

holytux
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Re: Kirchenaustritte weiter auf hohem Niveau - Kirchen reden sich die Zahlen schön?!

#4 Beitrag von holytux » 13.07.2020, 07:45

Am 27.06.2020 titelte die FAZ: "So viele Kirchenaustritte wie noch nie"

Der Trend bleibt ungebrochen.
Am 10.07.20 hat sich Udo Schnelle (Professor emeritus für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) in einem Leserbrief in der FAZ (S. 18) zum Thema geäußert. Neben den bekannten Gründen
...demographischen Wandel, dem allgemeinen Akzeptanzverlust von Großorganisationen, der zunehmenden Individualisierung, dem Plausibilitätsverlust des christlichen Weltbildes und dem Missbrauchs-Skandal...
macht Schnelle jedoch eine Entwicklung verantwortlich, die nach seiner Überzeugung
"...von Bischöfen und Bischöfinnen aber hartnäckig geleugnet oder ignoriert wird: die theologie-politische Ausrichtung der EKD. Sie orientiert sich seit Jahren nur noch an Themen aus dem linken Politikspektrum, die fast ungefiltert übernommen werden: Flüchtlingsfrage, Genderpolitik, Gerechtigkeit auf allen sozialen und politischen Ebenen, Klimafrage, Globalisierung und vieles mehr..."
Schnelle betont, dass er diese Fragen für "überaus wichtig" hält, die Kirche diesbezüglich aber nicht über "Spezialwissen" verfüge,
...auch wenn sie immer wieder versucht,
ihre moralische Überlegenheit zu demonstrieren...
Schnelle beklagt, dass die Kirche so "immer mehr zu einem beliebigen Sozialverein" werde.

Soeben sehe ich erfreut: der Brief ist hier komplett KLICK einsehbar, ich spare mir deshalb weitere Umschreibungen wegen des Zitierrechts.
Für höchst bemerkenswert erachte ich auch den letzten Absatz zur Corona-Krise.

FG
H.
"Wenn alle Liebe Ewigkeit will - Gottes Liebe will sie nicht nur, sondern wirkt und ist sie."
Joseph Ratzinger

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