Hamburgs Bischöfin Jepsen tritt zurück

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tergram

Hamburgs Bischöfin Jepsen tritt zurück

#1 Beitrag von tergram » 16.07.2010, 14:45

Hamburgs Bischöfin Maria Jepsen (65) zieht persönliche Konsequenzen aus der Missbrauch-Affäre in der Kirchengemeinde Ahrensburg (Schleswig-Holstein). Nach BILD-Informationen wird Jepsen am Freitagnachmittag um 17 Uhr ihren Rücktritt erklären.

http://www.bild.de/BILD/regional/hambur ... rueck.html

Gaby

Re: Hamburgs Bischöfin Jepsen tritt zurück

#2 Beitrag von Gaby » 19.07.2010, 12:36

Was mir etwas Sorgen macht, ist, dass immer mehr Menschen nachdem sie schon das Vertrauen in unsere Politiker verloren haben sich auch immer mehr von den Kirchen abwenden, den Kirchen nicht mehr vertrauen.
Wenn das Thema zufällig mal in Richtung Kirche geht höre ich oft genug, denen geht es doch auch nur um Macht und Geld, der Mensch an sich und wie es diesem geht ist der Kirche als Institution doch gleichgültig.
Es sind doch nur einige wenige in den Kirchen, denen wirklich etwas an den Menschen liegt. Die meisten machen doch auch nur ihren Job ...
Menschen erwarten von den Kirchen heute halt etwas anderes als NUR das Evangelium gepredigt zu bekommen ... Vorbildcharakter zu haben gehört unter anderem auch dazu ... und was nützt es, wenn "die Kirche" von Nächstenliebe predigt, aber es wird von ihren Mitgliedern nicht umgesetzt?
Gibt es in unserer Gesellschaft überhaupt noch jemanden dem wir bedenkenlos unser Vertrauen schenken können? Gibt es noch Menschen mit Vorbildcharakter? Was für Werte haben wir als Gesellschaft überhaupt noch?
Individualisierung ... jeder sieht nur noch sich ....
http://www.zeit.de/2010/27/Kindergaerten
Nur ein Beispiel dazu wie unsere Gesellschaft heute "tickt" ...
Bin ich zu pessimistisch mit meiner Sicht, dass unsere Gesellschaft sich langsam Richtung Abgrund bewegt, wenn wir so weiter machen?

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Andreas Ponto
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Re: Hamburgs Bischöfin Jepsen tritt zurück

#3 Beitrag von Andreas Ponto » 19.07.2010, 13:34

Abgrund? Nein, das denke ich nicht. In jedem Ende liegt ein Anfang.

Und wenn die Gesellschaft nicht selbst erkennt, dass etwas zu Ende geht und reformiert werden muss und das dann auch tut, dann wird Ende gemacht - von sich aus quasi - autoprogrammiert und unkalkulierbar.

Das ruft natürlich Angst und Ungewissheit hervor. Man spürt für sich, dass etwas Grundsätzliches nicht mehr läuft. Aber man kann es nicht festmachen und traut sich selbst nicht zu, persönlich etwas in die Hand zu nehmen und selbst "neu anzufangen"/"umzustellen".

Es haben sich aus meiner Sicht fast alle Organisationen nach dem Krieg neu aufgebaut, aber versäumt sich permanent zu reformieren. Stattdessen haben sich Machtstrukturen und Netzwerke festgesetzt, die lediglich eines im Sinn haben: Status bewahren und persönliche Vorteile ausbauen.

Die jeweilige Sache selbst und Verantwortung für das Gemeinwohl sind im Prinzip nicht mehr zu finden. Es sind organisatorische Hülsen geworden, die noch funktionieren und keiner weiss wozu überhaupt. Da nützt auch das Austauschen von Personen überhaupt nichts. Was soll denn damit erreicht werden? Das beruhigt lediglich bis zum nächsten Skandal. Jeder lehnt sich irgendwie zufrieden im Fernseh- oder Computersessel zurück. Ändern tut sich dadurch aber rein gar nichts. Die Austausch- und Rücktrittsrythmen werden immer häufiger und schneller.

Jeder kann nur bei sich persönlich anfangen. Persönlicher Wohlstand und Bequemlichkeit machen aber gerade das so schwer. Schafft man das aber, dann wird das seine Kreise ziehen. Wenn es genug tun, wird es gut gehen.
Ansonsten - siehe Anfang.

Meine Ansicht dazu.

centaurea

Maximin

Re: Hamburgs Bischöfin Jepsen tritt zurück

#4 Beitrag von Maximin » 19.07.2010, 14:01

:) Meine liebe Gaby,
ich habe weit über 40 Jahre in der Berliner Ministerialverwaltung gearbeitet. Lange auch an einigermaßen verantwortlicher Stelle. Dass ich auch lange in der NAK mitgemacht habe, dass weißt Du aus meinen vierlfältigen Berichten. Weißt Du wovon ich mich da und dort, ab einem betimmten Punkt, leiten ließ: "Da wo ich bin zu versuchen, dass Ganze ein wenig sinnloser zu gestalten."

Im öffentlichen Dienst hat man das honoriert. In der NAK nicht. Gaby, Werteverteidigung findet m. E. nicht immer im großen Stil statt, sondern da, wo wir selber präsent, mutig und beispielgebend tätig sind. Du bist doch auch eine von dieser Sorte. :mrgreen:

Nee, nee! Aufgebeben gilt nicht. Und Du biste keine von der Sorte, die sich aufgebend wegschleicht. Ich freue mich auf unsere Begegnung in Wittenberg.

Ganz liebe Grüße in die Blocksberge vom Micha :wink:

agape

Re: Hamburgs Bischöfin Jepsen tritt zurück

#5 Beitrag von agape » 19.07.2010, 14:02

maximin:
Da wo ich bin zu versuchen, dass Ganze ein wenig sinnloser zu gestalten.
...diesen Versuch hätte ich Dir nicht unbedingt zugetraut. :mrgreen:

Hannes

Re: Hamburgs Bischöfin Jepsen tritt zurück

#6 Beitrag von Hannes » 19.07.2010, 15:04

Gaby hat geschrieben:Was mir etwas Sorgen macht, ist, dass immer mehr Menschen nachdem sie schon das Vertrauen in unsere Politiker verloren haben sich auch immer mehr von den Kirchen abwenden, den Kirchen nicht mehr vertrauen.
liebe gaby (ich hoffe, du bist so! :wink: ),

das macht mir keine angst, das macht mir gar keine angst ... denn: es gibt das, was die menschen dort suchen nicht! das ist in einem selbst (im günstigsten fall) oder evtl. bei ganz nahen menschen - und bei gott.

vielleicht ist ja das verhängnis, dass die menschen den kirchen und politikern zu sehr nachgelaufen sind und dabie ihre eigene verantwortung vergessen haben. kirchen sind für mich wegweiser ... nicht mehr und nicht weniger.

lg - hannes

Gaby

Re: Hamburgs Bischöfin Jepsen tritt zurück

#7 Beitrag von Gaby » 19.07.2010, 21:39

>>Stattdessen haben sich Machtstrukturen und Netzwerke festgesetzt, die lediglich eines im Sinn haben: Status bewahren und persönliche Vorteile ausbauen. Die jeweilige Sache selbst und Verantwortung für das Gemeinwohl sind im Prinzip nicht mehr zu finden.<< (centaurea)

Centaurea, dies gilt aber nicht nur für die verschiedenen Organisationen und deren Besetzungen, sondern auch für viele Menschen im privaten Bereich.
Und auch das zieht Kreise, wie man sieht, wenn die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft aufeinander herumhacken, ihr Feindbild pflegen, nur aus dem einen Grund, weil man Angst hat, man wird über kurz oder lang eventuell etwas von seinem Status verlieren. Man ist oft nicht mehr bereit Verantwortung für sein Gegenüber zu übernehmen.
Jung gegen alt, Arbeitnehmer gegen Arbeitslose, Deutsche gegen Migranten,
reich gegen arm, aber auch arm gegen reich ... jeder sieht nur noch sich und seine Belange ... nun und viele Menschen stehen mittlerweile hoffnungslos dazwischen. Früher gab Kirche gerade diesen Menschen noch ein wenig Halt ... und heute???

>>Nee, nee! Aufgebeben gilt nicht. Und Du biste keine von der Sorte, die sich aufgebend wegschleicht.<< (Micha)

Micha, nee nee ;-) ... Du hast recht ... ich selbst gebe nicht auf und schleich mich auch nicht weg. Aber ich sage immer ich habe auch keinen Grund dazu, war ich doch fast immer ein sogenanntes "Sonntagskind" bei dem alles einigermaßen "glatt" verlief. War es mal nicht so ganz glatt, irgendwie bekam ich es immer irgendwie hin.
Aber ich verstehe auch die Menschen, die wirklich nicht mehr ein noch aus wissen und so langsam resignieren, sich von allen und jedem im Stich gelassen fühlen. Und diese Fälle häufen sich nach meiner Beobachtung.
Mehr als zu versuchen Hoffnung zu vermitteln und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben kann man ja oft nicht leisten. Habe nur ich mit solchen Menschen Kontakt? Manchmal kommt es mir so vor ;-)
Wenn man selbst nicht betroffen ist, kann man immer gut davon reden man solle sich auf andere Werte besinnen, den Tanz um das goldene Kalb sein lassen. Aber wenn einem das Wasser bis zum Hals steht und man nicht mehr ein noch aus weiß? Diese Menschen werden immer mehr scheint mir ... früher gab es oft noch Stellen/Menschen wo sich diese hinwenden konnten. Man nahm sie an die Hand und half ihnen ... und heute???

>>liebe gaby (ich hoffe, du bist so! ;-) << (Hannes)

Lieber Hannes ... ja ich bin so, aber ich denke auch, ich kann damit umgehen ... brauche dieses alles nicht mehr als Gerüst für mein Leben.
Was aber wenn >>das ist in einem selbst (im günstigsten fall) oder evtl. bei ganz nahen menschen - und bei gott.<< dies Menschen nicht für sich erkennen können und es dazu diese "nahen" Menschen auch nicht gibt?
Einsamkeit ist heutzutage ein großes Thema. Ob für jung oder auch für alt ...
Gerade für diese Menschen hatte Kirche bislang eine sehr wichtige Aufgabe erfüllt, war oft eine Art Lebensgerüst, stand für Vertrauen.
Und jetzt wird die Institution immer mehr in ihren Grundfesten erschüttert. War es erst "NUR" die RKK, sieht es jetzt so aus, als wenn die EKD auch nicht viel besser ist. Wenn Vertrauen erschüttert wird, ist das oft der Anfang vom Ende ... da spreche ich aus Erfahrung ;-)
Die Frage ist, wieviel Kirche braucht unsere Gesellschaft noch? Ist es für unsere Gesellschaft nicht auch ein Stück weit wichtig, dass es die Kirche der wir vertrauen können auch weiterhin gibt?
Wenn ich unsere Gesellschaft so betrachte, ist nicht auch ein Grund, dass unsere Werte sich so gewandelt habe, dass Kirche/ das Evangelium/ Spiritualität immer mehr an Bedeutung verliert?
Auch wenn ich mit Kirche als Institution nicht mehr viel anfangen kann, mir lag nie daran, andere die sich mit Kirche welcher Couleur auch immer wohl fühlten irgendwie zu verunsichern. Wurde ich gefragt, habe ich natürlich Stellung bezogen, aber mir lag nie daran von mir aus meine Kritikpunkte auf dem Tablett zu servieren.
Ist der Vertrauensverlust in die Politik ja schon lange ein Thema (man siehe die Wahlbeteiligung in ihrer Entwicklung) folgt jetzt anscheinend die Organisation Kirche ganz massiv ...

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Re: Hamburgs Bischöfin Jepsen tritt zurück

#8 Beitrag von Andreas Ponto » 19.07.2010, 22:00

Gaby hat geschrieben:>>Stattdessen haben sich Machtstrukturen und Netzwerke festgesetzt, die lediglich eines im Sinn haben: Status bewahren und persönliche Vorteile ausbauen. Die jeweilige Sache selbst und Verantwortung für das Gemeinwohl sind im Prinzip nicht mehr zu finden.<< (centaurea)

Centaurea, dies gilt aber nicht nur für die verschiedenen Organisationen und deren Besetzungen, sondern auch für viele Menschen im privaten Bereich.
Und auch das zieht Kreise, wie man sieht, wenn die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft aufeinander herumhacken, ihr Feindbild pflegen, nur aus dem einen Grund, weil man Angst hat, man wird über kurz oder lang eventuell etwas von seinem Status verlieren. Man ist oft nicht mehr bereit Verantwortung für sein Gegenüber zu übernehmen.
Jung gegen alt, Arbeitnehmer gegen Arbeitslose, Deutsche gegen Migranten,
reich gegen arm, aber auch arm gegen reich ... jeder sieht nur noch sich und seine Belange ... nun und viele Menschen stehen mittlerweile hoffnungslos dazwischen. Früher gab Kirche gerade diesen Menschen noch ein wenig Halt ... und heute???

...
Du hast absolut Recht mit deiner Beobachtung. Wie sollte es anders sein?

Vielleicht hilft, wenn wir bewusst als kleine, liebe "Wellenbrecher" diese Kreise vor Ort in unserem Umfeld stören?

Freundlichkeit in der S-Bahn; Hilfsbereitschaft trotz abschätziger Blicke und kalter Ignoranz; zuvorkommend trotz Ablehnung; Verzicht trotz Statusdruck; Ehrenamt trotz Erlebnissucht; 1 Auto trotz 3 Autos in der Nachbarschaft; kleineres Auto trotz Flagschiff beim Nachbar; einfach mal öffentlich Fahren anstatt im eigenen Auto sitzen; auf Karriere verzichten, bzw. bewusst gestalten wenn ansonsten das Umfeld (Partner, Kinder, Familie) leidet; abgeben, teilen, sich mitteilen und Stellung beziehen; etc. p.p. ....

Das meinte ich u.a. mit "bei sich persönlich" anfangen.

Gaby

Re: Hamburgs Bischöfin Jepsen tritt zurück

#9 Beitrag von Gaby » 20.07.2010, 10:09

Die Diktatur der Uhr

http://www.geo.de/GEO/mensch/4157.html?p=1

Dieser Artikel beschreibt das Dilemma unserer inzwischen neoliberalen Gesellschaft sehr gut wie ich finde ...

Kleine Wellen ... ja natürlich hast Du recht, mehr als bei uns persönlich anzufangen kann man meist nicht tun .... aber manchmal zweifel ich halt daran, dass diese kleinen Wellen wie Du es nennst zu "Wellenbrechern" werden können ;-) ... es ist halt sehr anstrengend mitunter ...

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Re: Hamburgs Bischöfin Jepsen tritt zurück

#10 Beitrag von Andreas Ponto » 20.07.2010, 10:29

und deswegen ist es schön zu wissen, dass man nicht alleine ist.

Um das Thema nochmal aufzugreifen.

Kann mir jemand erklären, was es bringt, wenn eine kompetente Person wie die Bischöfin zurücktritt (ausser bei grober persönlicher Amtsverletzung)?

Wäre es nicht ihre Aufgabe die Sache, die schief lief, aufzuarbeiten und in Ordnung zu bringen?
Ist das nicht ihre Aufgabe? Ist sie nicht dafür da?
Danach könnte sie sich ja zur Disposition stellen und um erneutes Vertrauen nachfragen.

Können wir es uns gesellschaftlich leisten einfach so mal auszutauschen?
Das scheint ja heute an der Tagesordnung zu sein.

Warum ist das so wie es ist?

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