Werter Ale,
keine Sorge, ich werde Ihnen keine Vorhaltungen machen. Warum auch?
Sie schreiben, mittlerweile sehr misstrauisch zu sein. Sie klingen dabei verbittert, nein, ärgerlich, wenn ich das anmerken darf. Allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass Sie einen Anlass haben, über den Glauben selbst verbittert zu sein, an ihm zu ver-zweifeln. Eher scheint mir, dass Sie mit Amtsträgern der neuapostolischen Kirche schlechte Erfahrungen gemacht haben. Ob das so ist geht mich nichts an. Jedenfalls führen Ärger und Verbitterung häufig dazu, auch in solchen Zusammenhängen eine Gegen-Haltung einzunehmen, in denen der Auslöser des Ärgers und der Verbitterung gerade nicht gegeben ist; solches unangemessenes Verhalten führt zu weiterem Verdruss etc. Daher, halb scherzhaft: Denken Sie an "Auge um Auge"! Das ist auch ein Gnadengebot, denn man soll nicht über den erlittenen Schaden hinaus austeilen.
Ebenfalls aufgefallen ist mir der Begriff "hinbiegt". Er beinhaltet ein Unwerturteil über die Absichten des Angesprochenen. Auch in soweit plädiere ich für Vorsicht im Sinne von Behutsamkeit. Denn in vielen Fällen ist es für das Austarieren des eigenen Verhaltens und der eigenen Einstellungen zu einem anderen ausreichend, einen Mangel (nur) als solchen zu bezeichnen, ohne Mutmaßungen über die Verdorbenheit des sich mangelhaft Verhaltenden anzustellen. Ich überzeichne hier; so vernichtend haben Sie den Begriff vielleicht nicht gemeint. Trotzdem halte ich das Gesagte für bedenkenswert, gerade im Zusammenhang mit obiger Stimmungsbeschreibung.
Sie fragen, wem Sie trauen sollen, und halten es für unausweichlich, darüber eine Entscheidung vor dem Hintergrund fundierter Bildung (nebenbei: meinen Sie wirklich Falsch-Bildung?) treffen zu müssen. Nun, was wollen Sie eigentlich? Gewissheiten? Ein "und deshalb ist das und das so und so", womöglich mit Ausrufungszeichen? Bei einem notorischen Skeptiker wie mir wären Sie mit diesem Anliegen an den Falschen geraten. Ich schreibe ja gerade gegen Gewissheiten in Glaubensdingen an, gerade auch gegen a priori-Gewissheiten und glaubensnotwendige Einsichten. Es kommt doch alles von Gott her, es ist seine Gnade, sein Geschenk, das wir fortwährend auspacken.
Sehen Sie, Paulus schreibt, "wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt". Eigentlich ein Unding angesichts dessen, dass der Heiland selbst seine Jünger ein Gebet gelehrt hat. Wir sollten doch wohl wissen, was und wie zu beten "sich gebührt". Und doch: Wenn man die Worte des "Unser Vater..." nicht als magische Formel auffasst, also als etwas, das uns Gott verfügbar (beherrschbar) macht, dann stellen wir fest, dass wir vieles in unserem Gebet nicht immer als ausgedrückt empfinden, uns "fehlen die Worte". Und in diesen Zusammenhang stellt Paulus unser Unvermögen, indem er die obige Aussage fortsetzt: "...sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen". Auch da, wo wir meinen könnten, wissen zu müssen - und doch scheitern -, erweist sich der Geist als der verheißene "Paraklet": Anwalt, Beistand, Tröster.
Zurück zu Ihrer Frage, wem man glauben soll. Weiß ich's? Wie könnte ich? Wenn Sie sich auf das einlassen, was ich weiter oben geschrieben habe, dann wird Glaube nichts sein, was man hat, sondern etwas, das man tut. Man wird im Einzelfall und anhand der Umstände des Einzelfalls prüfen, wie glaubwürdig etwas ist. Aber dieses Prüfen wird nicht missmutig-misstrauisch sein. Sie haben doch einen Beistand.
Beste Wünsche,
C.E.
P.S.: Falls Sie die o.g. Paulus-Stelle suchen: Römer 8, 16ff. Das Kapitel endet übrigens mit der Bekundung einer Gewissheit
Und die glaube ich auch.