Leben erhalten um jeden Preis?

Christliche Ethik
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Tatyana

Leben erhalten um jeden Preis?

#1 Beitrag von Tatyana » 18.11.2008, 11:35

BatP wirft im NACBoard die Frage auf, ob es gerechtfertigt ist, Leben um jeden Preis zu erhalten:"I'm a little confused about the extraordinary ends we go to to preserve some human life" (Ich bin ein wenig verwundert über die unglaublichen Anstrengungen, die unternommen werden, manches menschliche Leben zu erhalten)

Warum verwenden wir so viele Ressourcen und Energie darauf, menschliches Leben zu verlängern?
Nicht nur das, was auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, sondern auch das Todgeweihter (Krebskranker, etc.) oder sehr alter Menschen? Warum einem über Achtzigjährigen den soundsovielten Bypass einsetzen, schon Tote zurückzuholen versuchen in der vagen Hoffnung, daß sie vielleicht doch noch nicht hirntot sind und ihr "Leben" fürderhin mindestens alls Behinderte fristen müssen?

Wäre es vielleicht sinnvoller, sie gehen zu lassen, das Geld "besser" zu verwenden, für humanitäre Zwecke z.B., die einem großen Personenkreis zugute kommen würden?

42

#2 Beitrag von 42 » 18.11.2008, 13:26

Tatyana,

Ich bin sehr gegen eine institutionalisierte Antwort auf Fragen, wie Du sie stellst, denn die Formulierung hoert sich aehnlich an wie "Sollen wir uns das noch weiter leisten, dass wir moribunde Kranke behandeln?" Das waere eine Zumutung fuer die Angehoerigen und fuer den Patienten selbst. Wie gesagt, bei der Antwort kommt es auf die Formulierung der Frage an.

Zuvoerderst ist das eine Entscheidung des Patienten und seiner Angehoerigen, ob sie noch weitere Behandlungsversuche akzeptieren wollen - vorausgesetzt, die Aerzte bieten dies an. Genau diese Fragestellung und die Antwort darauf sind Sache einer Patientenverfuegung, worueber im gk-Forum einmal kurz gesprochen wurde.

Was wir wahrscheinlich gar nicht so genau wissen wollen: Aerzte muessen sich in solchen Situationen sowieso fuer eine Art und einen Umfang der Behandlung entscheiden. Ich schliesse nicht aus, dass sie dabei graduelle Unterschiede zwischen einem jungen Menschen und einem nicht mehr therapierbaren alten Menschen machen. Leitlinie ist aber der Hippokratische Eid. Bei Katastrophen werden die Verletzten auch in Kategorien eingeteilt; Schwerstverletzte, denen nach menschlichem Ermessen und mit den verfuegbaren Mitteln nicht geholfen werden kann, werden nur palliativ versorgt. Damit stellt der Arzt wenigstens die Behandlung der anderen Verletzten sicher.

Uebrigens ist jeder Eingriff eines Arztes juristisch gesehen eine Koerperverletzung; sie wird nicht als solche betrachtet und geahndet, weil der Patient in der Regel seine Zustimmung gegeben hat oder der Arzt sie in einem Notfall putativ voraussetzen darf. Liegt hingegen eine Patientenverfuegung vor, so sollte sich ein Arzt daran halten, sonst begeht er tatsaechlich eine Koerperverletzung.

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tosamasi
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#3 Beitrag von tosamasi » 18.11.2008, 14:31

In Italien gab es ja dieser Tage wieder so einen Fall, wo nach jahrzehntelangem Rechtsstreit die 'Vernunft' obsiegt hat, was die kath. Kirche heftig ablehnt.
Man beruft sich auf den menschlichen Eingriff, ohne zu bedenken, dass, wenn der Mensch nicht eingegriffen hätte, dieses 'Leben' schon längst nicht mehr existierte.
Die lebenserhaltenden Maschinen hat nicht Gott konstruiert.
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tosamasi

Tatyana

#4 Beitrag von Tatyana » 18.11.2008, 14:53

Aber er hat den Menschen den Verstand gegeben, diese Maschinen zu erfinden.

@42: ich habe auch nie behauotet, daß es auf solche Fragen einfache Antworten gäbe :wink: . Nicht einmal für den Einzelnen, geschweige denn für ganze Gruppen. Aber genau deshalb finde ich, die Auseinandersetzung lohnt.

Brombär

#5 Beitrag von Brombär » 18.11.2008, 15:12

Tatyana schrieb :


Aber er hat den Menschen den Verstand gegeben, diese Maschinen zu erfinden.


Tatyana, ich glaube, dass nicht alles, was der Mensch erfinden kann, dem Willen Gottes gefällt.


B.

tergram

#6 Beitrag von tergram » 18.11.2008, 15:51

Brombär hat geschrieben:..., ich glaube, dass nicht alles, was der Mensch erfinden kann, dem Willen Gottes gefällt.
(Hervorhebungen von mir)

Eben. Das ist der Problembereich, der sich auftut, wenn wir Glaubensfragen mit der Frage nach dem technisch Machbaren verknüpfen. Wir sollten - soweit eben möglich - diese Ebenen voneinander trennen. Was der Wille Gottes ist, weiss niemand in der Tiefe - auch die Kirchen nicht, obwohl sie uns gern etwas anderes glauben machen wollen.

Üblicherweise entscheiden Ärzte anhand von Fakten, ob kurative oder palliative Behandlung sinnvoll. Dies wird - sofern möglich - dem Patienten, ersatzweise seinen Angehörigen, erläutert. In aller Regel sind sowohl Patienten als auch Angehörige nach der entsprechenden Aufklärung "vernünftig" und akzeptieren die Entscheidung. Bedauerlicherweise verfügt Deutschland nicht über genügend Ärzte, die eine hochwertige Schmerztherapie beherrschen - international liegen wir im hinteren Bereich bei der Schmerzversorgung. Die Gewissheit, keine Schmerzen erleiden zu müssen, würde viele Menschen diese Grenzbereiche erträglicher machen, ihnen etwas mehr Gelassenheit für den letzten Weg geben.

Leider ist in unserer Gesellschaft das Ende des eigenen Lebens ebenso tabuisiert, wie das Ende des Lebens nachestehender Menschen. Die Sterbephase und der Tod als natürliches Ende werden nicht (mehr) akzeptiert, finden unter sterilen Bedigungen in einer Klinik statt, werden somit an "Dienstleister" ausgelagert.

An dieser Stelle aller Diskussionen zum Thema nicken alle Beteiligten gern zustimmend. Wenn man weiterfragt, wer aktuell ein Testament gemacht und seinen Nachlass geregelt hat, blickt man zumeist in leere Gesichter... Fragt man nach einer Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung wird gern gemurmelt "ja,ja, darum müsste ich mich irgendwann mal kümmern" - und dabei bleibt es zumeist auch.

Wer also nicht möchte, dass sein Leben erhalten wird, obwohl es nach menschlichem Ermessen keine Besserung/Heilung geben kann, muss dafür vorsorgen. Heute. Nicht irgendwann.

Tatyana

#7 Beitrag von Tatyana » 18.11.2008, 16:36

Brombär hat geschrieben:Tatyana schrieb :


Aber er hat den Menschen den Verstand gegeben, diese Maschinen zu erfinden.


Tatyana, ich glaube, dass nicht alles, was der Mensch erfinden kann, dem Willen Gottes gefällt.


B.
Kann es wirklich in Gottes Schöpfung etwas geben, das ihm nicht gefällt? Oder, anders gefragt, kann es darin etwas geben, dessen Keim nicht schon in der Schöpfung enthalten und damit von ihm gelegt ist?

Tatyana

#8 Beitrag von Tatyana » 18.11.2008, 16:43

@Tergram: "nach menschlichem Ermessen" ist das Stichwort. Kein Arzt kann voraussagen, ob jemand wirklich geheilt werden kann. Mancher, dem die Ärzte keine Chance mehr gaben, hat noch lange gut weitergelebt. Und mancher, der eigentlich hätte gesund werden müssen, ist dann doch gestorben.

Vielleicht mag sich ja mancher darauf verlassen, daß doch noch ein Wunder geschieht, sollte einmal etwas passieren. Vielleicht mögen die meisten sich auch nicht wirklich damit beschäftigen, wie du schon sagst. Vielleicht denkt mancher, er würde das Unglück damit erst heraufbeschwören. Oder er würde einen fatalen Fehler machen, würde er nicht wiederbelebt werden wollen, obwohl er in dem Moment dann doch weiterleben möchte, sich aber nicht mehr umentscheiden kann.

Es ist schwer vorherzusagen, wie wir in Grenzsituationen fühlen und/oder entscheiden würden...

Dieter

#9 Beitrag von Dieter » 18.11.2008, 17:21

Das Problem, daß oftmals Leben um jeden Preis erhalten wird, liegt nach nicht nur im hippokratischen Eid der Ärzte begründet. Es ist oft auch die Angst des Menschen vor einem schmerzhaften und qualvollen Ende, die dieses versucht hinauszuzögern.
Aber was meiner Ansicht nach noch viel mehr Einfluss hat, ist die Tatsache, daß für die allermeisten der Tod ein absolutes Tabuthema ist. Tod findet nicht mehr statt. Gestorben wird zwar immer noch, aber wer hat schon mal einen Toten noch gesehen? Früher hielt man noch Totenwache am offenen Sarg. Der Tod war Teil des Lebens. Heute stirbt die überwiegende Anzahl im Krankenhaus, die Angehörigen erhalten die Todesnachricht und der Tote wird vom Leichenbestatter abgeholt und eingesargt. Oft wollen selbst die Angehörigen den Toten nicht mehr sehen. Tod wird ausgeblendet.
Und dies führt dazu, daß man nicht mehr weiß, wie mit ihm umzugehen ist. Sicher freue ich mich wesentlich mehr über mein Leben, als ich mich über meinen Tod freuen werde, wenn es denn einmal soweit sein wird. Aber ich finde es auch ungemein spannend, dann einmal die Reise anzutreten, die mir soviel Neues, noch nie Gesehenes, nicht mal im Ansatz Vorstellbares bringen wird. Warum sollte ich davor Angst haben?
Daher habe ich auch kein Problem mit einer Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht. Meine Frau und ich haben diese beide. Es hat zwar lange gedauert, aber es war einfach die Bequemlichkeit, nicht fehlende Einsicht, die dies lange verhindert hatte.
Ein Leben an einer Maschine, die nur die Körperfunktionen aufrechterhält ohne den Menschen wirklich wieder zurückzuholen, verstößt meiner Meinung nach gegen die Würde des Menschen. Und ein Mensch hat nicht nur das Recht auf Leben, er hat auch das Recht auf einen würdigen Tod.

Dieter

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#10 Beitrag von tosamasi » 18.11.2008, 17:39

Tatyana hat geschrieben:
Brombär hat geschrieben:Tatyana schrieb :


Aber er hat den Menschen den Verstand gegeben, diese Maschinen zu erfinden.


Tatyana, ich glaube, dass nicht alles, was der Mensch erfinden kann, dem Willen Gottes gefällt.


B.
Kann es wirklich in Gottes Schöpfung etwas geben, das ihm nicht gefällt? Oder, anders gefragt, kann es darin etwas geben, dessen Keim nicht schon in der Schöpfung enthalten und damit von ihm gelegt ist?
Gott hat nur Grundstoffe in die Erde gelegt. Der Mensch bastelt daraus, wonach ihm der Sinn steht, sei es zum Schaden (Schwerter) oder zum Nutzen (Pflugscharen).
Nur der Einfältige fürchtet die Vielfalt
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