21ter Dezember 2013
Weihnachten im Dom – Teil II ©
http://www.youtube.com/watch?v=hYA38HWZJtI – Gehe nicht vorbei o Heiland
„Prosit, Bruno, es möge nützen!“ Wie vom Donner gerührt riss Bruno seine Augen auf: „Wer ist da?“, hauchte Bruno zu Tode erschreckt in das Dunkel zurück, wobei er sich ängstlich zum Hauptkirchenschiff hin wendete, weil er genau von dort Gefahr auf sich zukommen ahnte, den Küster…! „Fürchte dich nicht, Bruno, ich bin´s doch nur.“ „Wer bist du? Wo bist du?“, flüsterte Bruno und doch hallte sein Flüstern mit schmerzendem Echo aus allen Winkeln des Domes unbarmherzig aus Bruno zurück: „Du…? Wer…? Wo…?“
Bruno von Müllerburg-Cosel sank in sich zusammen. Er wusste genau, wenn ihn der Küster jetzt erwischen würde, dann wäre es für heute vorbei mit seiner schön warmen Weihnachtsstube. Schließlich wagte es Bruno ein Auge zu riskieren. Sein Blick fiel geradewegs auf das große Kruzifix über dem Seitenaltar seiner Nebenkapelle. Wie magisch angezogen, hielt sich Bruno lange mit weit aufgerissenen Augen an dem Antlitz des Gekreuzigten fest.
Dann, nach einem schier endlosen Blickkontakt mit dem Schmerzensmann, riss sich Bruno zusammen: „Was soll das denn?“, fragte Bruno in sich hinein. „Es ist doch nur ein bearbeitetes Stück Holz. Nicht mal bemalt und inzwischen auch schon ganz schön von den darunter brennenden Opferkerzen verrußt.“ Aus seiner Manteltasche nestelte Bruno das Cognac-Fläschchen heraus, genehmigte sich einen kräftigen Schluck und ging dann zum Angriff über: „Warum haben die dich damals eigentlich am Kreuz aufgehängt, Jesus? Eigentlich müsste ich doch schon längst so aufgehängt worden sein, so herunter gekommen und verkommen wie ich inzwischen bin?“
„Ja“, antwortete die Stimme, „eigentlich müsstest du hier hängen, Bruno.“ „Stimmt“, jammerte Bruno kleinlaut, „Es gibt nur ein Gebot, das ich nicht verletzt habe. Denn an der Sache mit dem „Abmurksen“ bin ich eigentlich auch nur knapp vorbeigeschrammt. Gerade so, aber immerhin…!“ „Bist du dir da so sicher?“, fragte die Stimme leise zurück. „In echt, Jesus,“ antwortete Bruno, „ausgeknipst“ habe ich noch keinen einzigen Menschen, obwohl ich das schon oft habe tun wollen. So in Gedanken jedenfalls…!“
„Ich weiß, Bruno. Ich weiß auch, wie krank den verletztes Gewissen ist, wie arm, wie jämmerlich, wie elend und wie bloßgestellt du dich jeden Tag fühlst, ausgestoßen und wertlos.“ Bruno sank noch weiter in sich zusammen. „Jesus, kann man denn dagegen nichts unternehmen?“ „Nein, Bruno“, antwortete die Stimme. „Du kannst dagegen gar nichts unternehmen, Bruno. Das habe ich dir alles abgenommen, und weil ich dir das alles abgenommen habe, deshalb hänge ich hier am Kreuz und nicht du.“
Langsam richtete sich Bruno auf und stellte eine letzte, eine die nächsten Stunden alles entscheidende Frage: „Jesus, draußen ist es lause kalt. In den letzten Tagen sind einige meiner Kumpels hops gegangen, nur weil sie in der Läuseburg (Obdachlosenasyl) keinen Platz abbekamen und die Schweine nachts die U-Bahnschächte verrammeln.“ Gespannte wartete Bruno auf die Zusage, dass er heute im Dom bleiben dürfe.
„Natürlich dürfen sie hier die Weihnachtsnacht verbringen, Herr von Müller-Cosel. Die anderen sind auch gerade angekommen.“ Zu Tode erschreckt drehte sich Bruno dieser anderen Stimme zu. Und dann stand er da, sein üblicherweise verkniffener und absoluter Todfeind, der Küster, Hüter des Domes. Freundlich lächelnd und hinter ihm, am Portal von Brunos Kreuzigungskapelle, stand grinsend die ganze Bande seiner Kumpels.
http://www.youtube.com/watch?v=p2lhK-N95kw (Herr erbarme dich…)
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Schluss:
Diese anrührende Geschichte ist von mir frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig. Und doch, so ganz frei erfunden ist diese Geschichte nicht. Einer meiner Freunde besuchte die Kirche „St. Marin-in-the-Fields“. Sie befindet sich am Trafalgar Square in London und ist berühmt für weltweit beachtete Musikdarbietungen. Wer weiß aber schon, dass diese Kirchengemeinde seit der Amtszeit von Dick Sheppard als Vikar von St. Martin (1914–1927), ein wichtiger Anlaufpunkt für Arme und Obdachlose ist.
Mein Freund berichtete mir von einer Berliner Evangelischen Kirchengemeinde, deren Pfarrer es St. Martin-in-the- Fields nachtun wollte. Er öffnete das Kirchengebäude an Weihnachten für Obdachlose und diese barmherzige Einladung fand in der Gemeinde Anklang. Leider nur bei den Obdachlosen und der überwiegenden Mehrheit der der Gemeindemitglieder. Der Gemeindekirchenrat fand diese Idee leider nicht gut. Sie intrigierten so lange, bis der Herr Superintendent diese Initiative auf null drehte. Die Obdachlosen wurden ausgeladen und der barmherzige evangelische Pfarrer versetzt.
Ich weiß nicht, durch welche dunklen Täler sie in diesen Tagen gehen müssen, welche steinigen Wege sie überwinden müssen. Wer von ihnen sich momentan leer, ausgelaugt, abgewiesen und erniedrigt fühlt und niemanden hat, bei dem er sich, laut oder verhalten auslassen kann, weil bei ihm so einiges schief gelaufen ist. Was ich aber ganz genau weiß das ist dieses: Denn es steht geschrieben, dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, unser aller Schöpfer und himmlischer Vater, seinen Sohn, Jesus Christus, gesandt hat,
- um den Elenden zu predigen,
- die zerbrochenen Herzen zu verbinden,
- zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit,
- den Gebundenen, dass ihnen geöffnet werde,
- zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn
- und einen Tag der Rache unseres Gottes, zu trösten alle Traurigen. (Jesaja 61, 1+2 / Luther 1912) ©
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http://www.youtube.com/watch?v=p2lhK-N95kw (Herr erbarme dich…)
Michael Maximin Steinbach, Berlin