Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?

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Maximin

Re: Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?

#21 Beitrag von Maximin » 02.05.2011, 17:48

:) Mein lieber Andreas,
drückst Du Dich eventuell um die Frage der von mir dargestellten Schuldverteilung herum...? Als beispielsweise das III. Reich 1945 zusammengebrochen war, schoben alle dem "Führer" die Schuld zu, um ihren eigen Schuldanteil zu kaschieren. Nein, mein Freund. Ich wäge die Schuldanteile anders als Du. Schlimm...?

LG Micha :wink:

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Re: Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?

#22 Beitrag von Andreas Ponto » 02.05.2011, 17:52

dann benenne doch mal das anders

Maximin

Re: Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?

#23 Beitrag von Maximin » 02.05.2011, 17:55

:) .. einen Versuch ist es mir wert... :wink:
Zuletzt geändert von Maximin am 03.05.2011, 16:26, insgesamt 1-mal geändert.

Maximin

Re: Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?

#24 Beitrag von Maximin » 03.05.2011, 15:49

2ter Versuch:

Mein lieber Andreas,
wenn ich mich mit dem Problem „Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?“ auseinandersetze, dann komme an einer ehrlichen Betrachtung der Schuldfrage nicht vorbei. Dass von Menschen geführte religiöse Systeme, egal welche, ihre Autorität missbräuchlich angewendet haben und auch heute noch anwenden, das wird niemand ernsthaft bestreiten. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.

Sehen wir uns die andere Seite, die Menge der „Gläubigen in den Reihen“, an. Ist es nicht so, dass man sich nur zu gerne einer religiösen Autorität unterordnet, um sich in „den letzten Dingen“ wenigstens einigermaßen sicherer zu sein? Wenn das aber so ist, dann hat das unter Umständen die fatale Folge, dass das religiöse System „von untenüberhöht und insoweit missbraucht wird.

Motto: “Ja, ja, es gibt einen Gott. Vielleicht ist der gerecht und sogar lieb. Ja, ja, ich glaube an Jesus Christus. Aber diese komplizierte Sache überlasse ich besser denen, die davon mehr verstehen als ich. Schließlich werden die ja dafür bezahlt

Der Missbrauch von unten wird aus naheliegenden Gründen nur sehr selten öffentlich. Im Stillen weiß man Bescheid: „religiöse Autoritäten" sind auch nur Menschen. Da „menschelt“ es halt. Augen zu und durch. Und damit man damit umgehen kann, gibt man dann am besten seinen Verstand, seine Kritikfähigkeit, seine Vernunft und vielleicht sogar sein Gewissen an der Garderobe ab.

Religiöse Autoritäten fordern Glauben, manchmal sogar kindlichen Glauben, ein. Derjenige, der sich den religiösen Autoritäten kritiklos unterwirft, der erfährt jede Zuwendung, mit allen das Glaubensleben förderlich Angeboten. Und genau an diesem Punkt, mein lieber Andreas, stelle ich die Schuldfrage. Wer dem religiösen System misstraut, ihm schließlich nicht mehr glaubt, den scheidet das religiöse System unbarmherzig aus. Und dann wie weiter...?

Frage ich Dich nochmals: „Wie gewichtest Du die Schuldanteile?“

LG vom Micha :wink:

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Re: Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?

#25 Beitrag von Andreas Ponto » 03.05.2011, 18:16

Oh nein Micha,

da werden wir nicht auf deinen Nenner kommen.

Hier ein kleiner Artikel, der aus meiner Sicht ganz gut erklärt, wie missbräuchliche Systeme Leiter rekrutieren: Blinde Blindenführer.

Hier wird sehr gut beschrieben, dass nicht fähige Seelsorger und Leiter gesucht und gefördert werden, sondern Zitat: "...Vielmehr steigen diejenigen Personen im Ansehen und damit in der Hierarchie, die, im Sinne der Gruppe oder des Leiters, am besten formbar und am leichtesten lenkbar sind, die die Leitung, die Gruppe, die Lehre nicht dauernd hinterfragen und zweifeln, sondern gehorsam und willig sind. Letztendlich also Personen, die an andere nur das weitergeben, was sie selbst von ihren Leitern empfangen haben. Nicht die persönliche und fachliche Qualifikation, sondern die Loyalität gegenüber der Gruppe/ der Leitung ist das Entscheidungskriterium für die Entwicklung in der Gemeinschaft...."

Zur Seite dieser Selbsthilfegruppe: INTERIM.

Eine schöne Ausarbeitung zum Gleichnis vom Blinden als Blindenführer.

Die Leiter sind verantwortlich! Sie müssen Ihre Anmassung nach der Welt Weise und ohne Christus leiten zu wollen, ohne Christus als Herrn der Gemeinde anzuerkennen und selbst Herren sein zu wollen über Kinder Gottes und damit Verführer zu sein verantworten.

Ich halte es für unredlich Opfer zu Tätern machen zu wollen. Einem zum Opfer gewordenen und traumatisierten kann man nichts Schlimmeres antun als zu sagen: "Selbst schuld, du hast es doch so gewollt!"

Selbstverständlich werden viele Opfer selbst zu Tätern. Das weiss ich selbst aus eigener Erfahrung, der ich selbst glühender Eiferer war. :(

Aber das ist im Heilungsprozess ein zweiter, ein eigener Erkenntnisschritt, der meist nur unter therapeutischer Hilfe gelingt.

LG

Andreas

Maximin

Re: Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?

#26 Beitrag von Maximin » 04.05.2011, 12:45

:) Mein lieber Andreas
zu Deinem Satz: <Ich halte es für unredlich Opfer zu Tätern machen zu wollen. Einem zum Opfer gewordenen und traumatisierten kann man nichts Schlimmeres antun als zu sagen: "Selbst schuld, du hast es doch so gewollt!"> möchte ich Dir antworten.

Dein Vorwurf trifft mich nicht. Jedenfalls bin ich der Letzte, der so etwas denken, geschweige denn tun würde. Ich war rd. 57 Jahre lang Mitglied in der Neuapostolischen Kirche (NAK) und habe die Glaubenskatastrophe 1960, 4 Monate nach Konfirmation, sehr bewusst erlebt.

Bis zu meiner Konfirmation habe ich im Kinderchor unbeschwert mitsingen können: „Ich bin ein Gotteskind, folg meinem Herrn. In dem Apostelamt, von Herzen gern. Geht auch die schmale Bahn, aufwärts gar steil. Seine Liebe leuchtet uns, zu unserm Heil.“

Und dennoch bekam ich mit, wie sehr meine Eltern, so ab Mitte der 5oer Jahre, im internen Geschwisterkreis, sich darüber die Köpfe heißredeten, ob man der Botschaft des greisen Stammapostels J. G. Bischoff glauben kann oder eben nicht.

Als der alte Herr dann im Juli 1960 doch verstarb, behielten die einen Recht und die andere nicht. Geblieben sind sie mit einigen wenigen Ausnahmen alle miteinander. Ich übrigens auch...

Wie fühlt sich so etwas an? Wie ist ein derartiges Beharrungsverhalten zu erklären? Hätte sich mein Vater damals anders entschieden, wäre er sofort als Gemeindeevangelist und Vorsteher mit Schimpf und Schande vertrieben worden und hätte seine Gemeinde, mit rd. 200 Leuten, alleine lassen müssen. Wer war damals Täter, wer war Opfer? Wer hatte Schuld auf sich geladen und wer nicht?

Viele Jahre später arbeite ich als Diakon in Vaters Gemeinde mit. Nach einem Hausbesuch ging ich zu Vater und sagte ihm, dass wir dieser Schwester finanziell beistehen müssten. Vater sah mich traurig an und meinte: „Ja, mein Junge, ich kenne deren schwierige Lage. Auf Anordnung des BAP Steinweg kann ich als Gemeindevorsteher bestenfalls eine einmalige Beihilfe in Höhe von 20,-- DM geben. Mehr ist nicht drin.“

Ich war empört: „Das darf mach sich doch nicht gefallen lassen!“ Selten habe ich meinen Vater so traurig dreinblicken gesehen. In der Sache konnte er nichts ändern. Konnte er nicht oder wollte er nicht? Nein, er durfte nicht, um nicht beim BAP in Ungnade zu fallen. War mein Vater Täter oder war er Opfer?

Als ich mich 2004 endlich dazu durchgerungen hatte, aus der NAK auszutreten, ging ich nach diesem Akt zu meinem inzwischen greisen Vater. Da war er wieder dieser unendlich traurige Gesichtsausdruck. Er sah mir nicht in meine Augen und murmelte nur: „Junge, nun bist du entwurzelt und heimatlos.“

Im Nachhinein erinnere ich mich oft an die endlosen Diskussionen in der Mitte der 50er Jahre. Obwohl sie es besser wussten, sind sie alle in der NAK geblieben. Wer war Täter? Wer war Opfer? Frage ich Dich nochmals, Andreas: Wie verteilst Du die Schuldanteile?
LG vom Micha :wink:

tergram

Re: Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?

#27 Beitrag von tergram » 04.05.2011, 14:51

Hmmm.... *nachdenk*, ich verstehe die inzwischen eingetretene Fokussierung der Diskussion auf die Schuldfrage nicht.

Wer hätte auf Basis welcher Kriterien das Recht, die Schuldfrage zu entscheiden?
Für wen wäre diese Entscheidung verbindlich?
Wem würde sie nützen?

Nach meiner Erfahrung möchte ich nicht ausschliesslich zwischen "schwarz oder weiss" entscheiden (müssen); zumeist zeigt sich eine Verquickung verschiedener Ebenen und Personengruppen, die im Zeitverlauf Änderungen unterworfen ist.

Hier stellt sich nicht die Frage nach der Schuld (es sei denn, man wäre Richter), sondern danach, wie man Betroffenen helfen kann, die zwar Hilfe wünschen aber aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, sie zu suchen und zu finden. Das war doch - wenn ich es recht verstanden habe -cenaurea's Hauptansatz bei der Threaderöffnung.

Liebe Grüße in die Runde,
t.

Maximin

Re: Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?

#28 Beitrag von Maximin » 04.05.2011, 15:36

... :wink:
m + + +

Gaby

Re: Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?

#29 Beitrag von Gaby » 06.05.2011, 10:46

Ich stimme tergram zu ... es bringst nichts hier eine Schuld verteilen zu wollen.

Allerdings sehe ich es ähnlich wie Micha ... es gehören IMMER zwei dazu.

Im Nachhinein betrachtet habe ich mich natürlich auch gefragt, wie es sein konnte, dass ich mich so habe "um den Finger" wickeln lassen seinerzeit.
Ich bin ja nun nicht neuapostolisch aufgewachsen, sondern katholisch und wurde erst mit 17 bzw. offiziell erst mit 18 FREIWILLIG neuapostolisch.
Und das wirklich sehr aktiv, die Woche war komplett ausgefüllt mit NAK. Normaler Chor, Jugendchor, 3 mal Gottesdienst, Regelmäßig zusätzlich Jugendgottesdienst, Blumenschmuck, 2 mal die Woche ältere Geschwister besuchen und gab es mal Freizeit, wurde die natürlich mit neuapostolischen Jugendlichen verbracht. Ich war also wirklich nicht "lau" zu nennen.
Oft sagen ja Aussteiger, dass nur jemand der "lau" war so relaxt mit der NAK umgehen kann und noch Gutes in ihr sieht.
Wenn heute Aussteiger kein gutes Haar an der NAK lassen können, kann ich das nicht ganz nachvollziehen. Mittlerweile sehe ich die NAK einfach als Teil meiner "Lebensschule".
Auch ich bin der Meinung, es war nicht alles schlecht in der NAK und stoße mit dieser Aussage oft auf Unverständnis ... die KL und das was diese an Lehraussagen verbreitet macht letztlich nicht die ganze NAK aus. Natürlich gibt es auch in der NAK im zwischenmenschlichen Bereich Probleme, aber wo gibt es die nicht?
Fängt man an sich mit den Lehraussagen zu beschäftigen, sich mit Glaubensfragen auseinanderzusetzen und steht man nicht mehr dahinter, ja dann wird es Zeit eine Entscheidung zu treffen. Zumindest wenn man nicht gewillt ist, darüber hinwegzusehen.
Mit 17 waren mir Lehraussagen ziemlich egal.
Aus heutiger Sicht kann ich über manche Lehre der RKK aber auch nur den Kopf schütteln. Und ich kann auch nicht hinter allem stehen, was in den verschiedenen evangelischen Konfessionen gelehrt wird. Ich lebe meinen Glauben heute eigenverantwortlich und lasse mir nicht mehr vorschreiben was ich zu glauben habe und was nicht.
Ein Grund mit das ich neuapostolisch wurde war sicherlich, dass wir frisch umgezogen waren, ich niemanden kannte und dann in der Berufsschule jemanden kennenlernte, der neuapostolisch war.
Hätte ich mein altes Umfeld noch gehabt ... wer weiß, ob ich diesen Schritt dann gegangen wäre? Immer schon religiös sehr interessiert, faszinierte mich die NAK einfach. In der NAK lernte ich, dass sich der Glaube nicht nur auf den wöchentlichen Sonntagsgottesdienst beschränken muss. Das war für mich völlig neu. Es war zudem bequem davon auszugehen, dass >>die NAK<< einem schon den "richtigen" Weg zeigen würde.
Ich glaube im Nachhinein auch nicht, dass nur die NAK für alle Probleme verantwortlich ist, die einem im Leben so unterkommen.
Einmal geht es darum, wie ernst ich so eine Glaubensgemeinschaft nehme.
Heute bin ich davon überzeugt, in JEDER Konfession kann ich Probleme bekommen, wenn ich sie zu wörtlich, zu ernst nehme ... unter anderem kommt es auch darauf an, was man für einen "Seelsorger" bekommt. Hat dieser eine verquere Sicht zur Religion und ich nehme diesen ernst, sind Probleme schon vorprogrammiert. (Stichwort destruktive Religionsvermittelung).
Mich davon zu befreien, ja das hat gedauert ... allerdings war ich diesbezüglich durch die RKK schon vorgeschädigt, daran ist nicht nur die NAK schuld.
Wenn heute ein Aussteiger psychische Probleme bekommt, wird gleich die NAK verantwortlich gemacht. Ich finde, damit macht man es sich zu leicht. Wer sagt, dass man nicht mit den gleichen Eltern in einer z. Bsp. baptistischen, evangelikalen oder katholischen Gemeinde die gleichen Probleme bekommen hätte? Mein Handycap war m.E. die sehr autoritäre Erziehung die ich genossen habe. Da war nicht viel mit selbst entscheiden dürfen. Als ich mit 17 sagte ich werde neuapostolisch, bekam ich von meinem Vater die letze Ohrfeige in meinem Leben ... nun, das erste Mal setze ich meinen Willen durch.
Das hat aber nichts daran geändert, dass ich mich gerne "leiten" ließ ... quasi meinen Vater durch andere ersetzte, die mir sagten wo es langzugehen hat.
Das änderte sich erst mit den Jahren und einem wachsenden Selbsbewusstsein das sich langsam entwickelte.
Manchmal denke ich, wenn jemand die NAK am liebsten für immer verschwunden sehen würde, dass dort auch ein klein wenig der Wunsch mitspielt, dass man sich im Nachhinein in seiner Entscheidung zu gehen bestätigt fühlen will.
Anfangs spukte mir auch noch öfter durch den Kopf "Und wenn sie doch >>recht<< hatten?
Es hat gedauert, bis ich wirklich loslassen konnte.
Heute käme mir nie in den Sinn, die NAK bei jemandem schlecht zu reden, der mit seinem Glauben in der NAK rundherum zufrieden ist.
Werde ich gefragt, warum ich ausgetreten bin (die Kirchensteuer kann ja nicht der Grund gewesen sein ... ich kenne viele, die mit der NAK zwar nichts mehr am Hut haben, aber nie auf den Gedanken kämen auszutreten) antworte ich ehrlich und begründe dies auch.
Aber warum soll ich jemanden verunsichern, der in seiner Gemeinde absolut zufrieden ist, mit dem neuapostolischen Glauben keinerlei Probleme hat?
Mittlerweile stimme ich Mahatma Gandhi zu, der sagte:
>>Die Religion ist ein einzelner Baum mit vielen Zweigen. Sieht man nur die Zweige an, ist man geneigt zu glauben, es gäbe viele Religionen. Doch sieht man den ganzen Baum an, versteht man, dass es nur eine einzige Religion gibt.<<
Ich sehe in der NAK das Problem, dass einige in die evangelische Richtung wollen, andere eher in die katholische ... und ein Großteil möchte, es solle doch alles beim Alten bleiben. Ich glaube nicht, dass die NAK diesen Spagat hinbekommen kann ... entweder, man geht also, um das zu bekommen was man möchte (denn letztlich gibt es das ja schon), oder man findet sich mit den Begebenheiten in der NAK ab. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht.
Nur sehe ich auch nicht, warum ich der NAK ihre Daseinsberechtigung absprechen soll ... dagegen "den Finger ab und zu in die Wunde zu legen" habe ich natürlich nichts ... gerade was die destruktive Religionsvermittelung betrifft, die den Menschen das Leben unnötig schwer machen kann.

Cemper

Re: Was ist religiöser Missbrauch - was nicht?

#30 Beitrag von Cemper » 06.05.2011, 11:41

Gaby - ich habe eben Ihren Eintrag gelesen und gedacht KLICK.

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