Die unglaubliche "Glaubensgeschichte" meines Bruders

Alles rund um die Sondergemeinschaft Neuapostolische Kirche (NAK), die trotz bedenklicher Sonderlehren (u.a. Versiegelung, Entschlafenenwesen mit Totenmission, Totentaufe, Totenversiegelung und Totenabendmahl, Heilsnotwenigkeit der NAK-Apostel, Erstlingsschaft, ..), weiterhin "einem im Kern doch ... exklusiven Selbstverständnis", fehlendem Geschichtsbewusstsein und Aufarbeitungswillen, speziell für die Zeit des Dritten Reiches, der DDR, der Bischoffs-Botschaft ("... Ich bin der Letzte, nach mir kommt keiner mehr. ..."), sowie ihrer jüngsten Vergangenheit und unter erheblichem Unmut ehemalicher NAK-Mitglieder, auch Aussteiger genannt, die unter den missbräuchlichen Strukturen und des auf allen Ebenen ausgeprägten Laienamtes der NAK gelitten haben, weiterhin leiden und für die die NAK nach wie vor eine Sekte darstellt, im April 2019 als Gastmitglied in die ACK Deutschland aufgenommen wird.
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Jinn

Re: Die unglaubliche "Glaubensgeschichte" meines Bruders

#71 Beitrag von Jinn » 19.01.2018, 09:42

Guten Morgen Bezirks-Elster,

ich verstehe, dass Sie diesen Thread nicht in irgendeine Richtung drängen wollten – Sie haben’s aber dann halt aus unergründlichem Antrieb doch getan.
Dass Ihr Zeiteinsatz und Ihr Schlafmangel mit dem Schriftwechsel dieses Threads zusammenhängt, erinnert mich nun wieder ganz, ganz stark an die Aufopferungsbereitschaft von manchem AT. Nur: Ich kann nix dafür, weil ich wahrlich niemand dazu gezwungen habe.

Ihre Erkenntnis bzgl. Mehrwert Ihrer Beiträge hier lässt dann schon wieder diese unglaubliche Arroganz durchblitzen. Wieso glauben Sie nur, Sie wären dazu berufen mir zu einem „Mehrwert“ verhelfen zu können? An dieser Stelle, so meine ich, wäre vielleicht manchmal schon ein wenig Demut angebracht?

Wenn Sie sich beim Start schwer getan haben in unserer Kommunikation, auf mich trifft das nicht zu. Sie wollten halt, dass ich sehe, was Sie sehen, und glaube, was Sie glauben.

Ihren Einwurf zur Waage von Justitia verstehe ich gut. Ich hatte diese Bild gleich vor Augen. Auf einem Auge blind … widerspricht jetzt eigentlich eher dem „Austarieren“, aber sei’s drum …

Natürlich gibt es Bewertungen, die nicht persönlich sind.
Würden Sie mich z. B. fragen, wie ich den Zustand von Wasser bewerten würde, würde ich Ihnen antworten: Es ist nass.
Also das Gegenteil von trocken.
Auch bei Glauben ist das für mich so. Ich glaube, oder ich glaube nicht.
Ein bisschen glauben ist für mich, wie ein bisschen schwanger.
Entweder man glaubt – oder eben nicht.
Und auf keinen Fall Wissen.
Alles dazwischen sind Zweifel.

Maschinenbau kann m. E. durchaus – zumindest in der Entwicklung – von persönlichen Bewertungen geprägt werden. Sie können eine Idee haben, wie man etwas konstruieren könnte – und glauben, es könnte funktionieren. Aber ganz sicher wissen Sie es erst, wenn Sie es gebaut und ausprobiert haben.
So entstehen – glaube ich – die meisten Innovationen, oder?

Ich kann, nein, ehrlichweise „ich will“ Ihnen nicht mit meinen vergilbten Urkunden an den Wänden aufwarten. Eigentlich nehme ich sie gar nicht mehr wahr. Und meist stelle ich im Umgang mit meinen Mitmenschen fest, dass mancher, der ist, was er ist, nicht sein kann, was sein will.

Ich danke Ihnen für Ihre Großzügigkeit diesen Thread wieder – für welche Richtung auch immer – frei zu geben.

Herzlichst
Jinn

Boris

Re: Die unglaubliche "Glaubensgeschichte" meines Bruders

#72 Beitrag von Boris » 22.02.2018, 12:51

Als Zusammenfassung (persönliche Sichtweise):

Es fällt oft schwer, mich auf die Sichtweise (Wahrnehmungsebene) meines Mitmenschen einzulassen. Meine Wahrheit ist eben noch lange nicht seine.

Was ich persönlich schlimm finde, ist die Tatsache, dass wir religiös geprägten Menschen so sehr dazu neigen, anderen um jeden Preis unsere Sichtweise darzustellen und zu erwarten, dass sie anerkannt und respektiert wird. Das empfinde ich tatsächlich als eine, durch kirchliche Erziehung, anerzogene Verhaltensweise. Kirchliche Erziehung schränkt in den meisten Fällen ein aufgrund ihrer Zielvorgaben.

Anstelle Dessen sollte doch das Mitgefühl (christlich oder nicht) über die als sehr schlimm empfundene Situation unseres Mitmenschen überwiegen,

findet Boris

Hatikwa
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Re: Die unglaubliche "Glaubensgeschichte" meines Bruders

#73 Beitrag von Hatikwa » 22.02.2018, 14:10

guten Tag Boris,
es ist gut, daß du diese "Glaubensgeschichte" wieder erwähnst.
Auch ich muß noch häufig an sie denken. Mehrmals habe ich die Seiten gelesen.
So sehr mich diese "Geschichte" auch berührt, mein Entsetzen über einige Reaktionen dazu,
sind für mich immer noch unfaßbar.
Es fällt mir schwer Worte für meine Anschauung zu finden. Ganz sicher werde ich das versuchen.
schönen Tag --- hatikwa

Boris

Re: Die unglaubliche "Glaubensgeschichte" meines Bruders

#74 Beitrag von Boris » 22.02.2018, 14:32

Hatikwa hat geschrieben: ... So sehr mich diese "Geschichte" auch berührt, mein Entsetzen über einige Reaktionen dazu,
sind für mich immer noch unfaßbar.
...
Beim Lesen von Beiträgen kann es mir auch passieren, dass ich über so manche Worte den Kopf schüttele.
Allerdings habe ich nach Jahren des Lesens ein ganz klein wenig gelernt:
Es ist völlig normal, dass jeder eine andere Sichtweise hat. Ein für mich großer Entwicklungsschritt. Ein guter Grund, um aus NAK auszutreten/den Rücken zu kehren.
Durch die Konditionierung in der NAK wurde einem solche Toleranz aber abgewöhnt.

Mich enttäuscht das Verhalten von Fories, die Geschädigten mangelndes Erwachsensein vorwerfen. In meinen Augen zeugt das von fehlendem Wissen und fehlendem Mitgefühl.
Ich kann auch damit umgehen, wenn jemand versucht, das Verhältnis zur NAK mit etwas Abstand und weniger emotionsgeladen zu betrachten. Anstrengend finde ich aber, wenn die eigene Position permanent gewechselt wird und der Gesprächspartner in die Position des Unverständigen gedrückt wird.

Betonen möchte ich aber, dass ich sicherlich auch nur versuchsweise objektiv und mitfühlend bin. Das aber können wir doch so gut gebrauchen: Wahres Mitgefühl und Verständnis. Das hatte man uns so oft versprochen vom Altar ...

LG Boris

Jinn

Re: Die unglaubliche "Glaubensgeschichte" meines Bruders

#75 Beitrag von Jinn » 27.02.2018, 09:35

Hallo Ihr Zwei (Hatikwa+Boris),
danke für Eure Gedanken und Eure Reflektion!!
Ein neues Update: Mein Vater ist in meinem Beisein (nur in meinem) verstorben.
Gestern war die Beisetzungen.
Gestern war ich notgedrungen nach vielen Jahren wieder mal der ganzen "Heiligkeit" ausgesetzt.
Ich werde mehr dazu schreiben, auch zu dem, worüber Ihr Euch Gedanken gemacht habt.
Sobald ich etwas zur Ruhe gekommen bin.

Herzlichst
Jinn

Boris

Re: Die unglaubliche "Glaubensgeschichte" meines Bruders

#76 Beitrag von Boris » 27.02.2018, 10:41

Lieber Jinn,

herzlichen Dank, dass du dich uns mit deiner Nachricht anvertraut hast.
Menschliche Worte sind kaum in der Lage (egal wodurch inspiriert), drängendes Leid wirklich zu lindern.

Ich möchte dir mein Mitgefühl aussprechen und wünsche dir, dass du genug Gelegenheit und Zeit für deine Trauer findest. Da heraus möchte dir aber wieder Freude, Kraft und Frieden erwachsen.

Sei dir meiner Anteilnahme versichert
Boris

Jinn

Re: Die unglaubliche "Glaubensgeschichte" meines Bruders

#77 Beitrag von Jinn » 27.02.2018, 15:43

Lieber Boris,

überraschend gab es nun heute, entgegen aller Vorausplanung, zeitlich „Luft“ um doch noch hier antworten und berichten zu können.
Wie schon geschrieben, ist es leider so, dass wir (meine Familie) eine „Destroyed Familie“ (der Titel meines nächsten Roman, der autobiografische Züge beinhalten wird. 8) ) sind.
Die Gründe dafür sind bei versuchter objektiver Betrachtung vielfältig. Ich komme jedoch bei keiner meiner Überlegungen darüber umhin, stets auf „die Basis“ zu stoßen: Den Neuapostolischen Glauben.

Viel ist schon darüber geschrieben worden, für mich immer wieder … vorsichtig ausgedrückt … seltsam anmutend, dass Glaubensleben - und wie man es „auslebt“ aber auch „erlebt“, - sehr subjektiv umgesetzt und wahrgenommen wird.
Immer wieder stoße ich bei dieser … merkwürdigen Schuld- und Verantwortungszuweisung zum einzelnen Gläubigen (in meinem Fall wären es dann meine Eltern), auf eben das, was „allgemein“ und „für alle gültig“ zumindest in meiner NAK-Zeit von jedem, also allen NAK-Geschwistern unbedingt abverlangt, befohlen und angeordnet, und wie auch schon oft berichtet, mit äußerst fragwürdigen Methoden regelrecht indoktriniert worden ist.

Heute, als absoluter Agnostiker und – wie ich und anscheinend auch mein persönliches Umfeld meinen – eher sehr eigenverantwortlicher, selbst bestimmter und realitätsbezogener Mensch, sehe ich allein schon rechtlich, also sowohl im Sinn von „Gerechtigkeit“, als auch im Sinn von „wer trägt die Verantwortung für …“ eine jedem einleuchtende Parallele: Würde Jahre- oder sogar Jahrzehntelang eine Organisation zu „Mord“ (im zugrunde liegenden Thema „Glauben“, zu „Seelenmord“) anstiften und animieren, würde man ihr mindestens eine Mitschuld attestieren, wahrscheinlicher aber sogar der „Mittäterschaft“.

Warum ich das so ausführe?
Heute, natürlich ganz unter dem Zeichen „des Wandels“, tut jeder aus dieser Sekte, der ganz persönlich daran beteiligt war, dass meine Eltern, im Besonderen mein Vater taten, was sie „im Sinne dieses Glaubens“ für angebracht hielten, alles, was damals „empfohlen“ wurde (das war ja damals viel mehr als eine bloße Empfehlung: Da hieß es z. B.: Wenn der AP, der Bischof, Älteste oder der Vorsteher sagt, dieser Beruf ist nichts für Dich, als Gotteskind, dann hast Du Dich dran zu halten), heute tut jeder dieser Beteiligten so, als wäre „der ganze Mist“ allein auf „dem Misthaufen meiner Eltern“ gewachsen.
Heute, so mein Sichtweise, versucht man zu vertuschen, zu verschweigen, zu verbiegen, ja, sogar zu verleugnen und zu verleumden.
„Damit hatten wir überhaupt nichts zu tun! Wenn Bruder X (mein Vater) das „so“ ausgelegt hat, dann war das allein seine Angelegenheit.“
Dumme, nicht nachdenkende, wenig reflektierende und sich wenig, bis gar nicht mit der Historie der NAK auskennende Menschen glauben dann halt „diesen Sch...“, der da heute verzapft wird.

Ehrliche, kritische, auch Kritikfähige und wahrheitsliebende Menschen wissen, dass es „so“, wie man es heute „hinbiegen“ möchte, einfach nicht war.
Die wissen, dass damals jeder im Umfeld meiner Familie, und dieses Umfeld bestand zu 99% aus aktiven NAKlern und Amtsträgern, ganz genau wusste und miterlebt hat, wie – nicht nur – Bruder X. (mein Vater) seinen Glauben „lebte“ und dann eben auch „an seiner Familie auslebte“.
Da war er ja nicht allein. So wie es dieses Umfeld von uns wusste, so wusste ja auch ich, dass z. B. der Sohn des Vorstehers bei dem geringsten Vergehen quer durchs Wohnzimmer geschlagen wurde, oder meiner Schulfreundin, die sich schwanger weigerte den Vater des ungeborenen Kindes zu nennen, das heilige Abendmahl verweigert, und sie aus dem Chor ausgeschlossen und in die hinteren Kirchenbänke verwiesen wurde, und Vieles mehr, was eben in dieser neuapostolischen Gemeinde gang und gäbe war.)

Natürlich, und das würde ich niemals in Abrede stellen, gibt es in diesem Umfeld Menschen, die m. E. völlig unabhängig von ihrem Glauben, der starken Empathie und Anteilnahme, ja sogar darüber hinaus der mitmenschlichen Hilfe für ihre Mitmenschen fähig sind.
Natürlich gibt es auch diejenigen, die es zutiefst bedauern, dass wir das alles miterleben mussten.
Und ebenso gibt es die, die alles wussten, und heute schamlos sagen: Hätten wir das gewusst, wir hätten Euch geholfen. Wir haben nie gewusst, dass Bruder X. seinen Glauben „so lebt“.

Nur: Lügen haben kurze Beine!
Allein die Trauerpredigt war der Beweis dafür.
Es war so auffällig, dass der Prediger (der damals noch nicht zur Gemeinde gehörte), immer wieder die Sätze fallen ließ: „Wir alle haben Bruder X. geschätzt. Er war ein treues, seinen Glauben über Alles stellende Gotteskind. Aber er hatte „auch“ seine Fehler. Doch wenn er auch seine Fehler hatte, dann wollen wir das heute, wo wir ihn im Jenseits wissen, in Vergebung und Milde betrachten. Wir alle machen Fehler, niemand ist ohne. …“ usw.
Es war so auffällig, dass ich von Außenstehende darauf angesprochen wurde: „Was war da, dass darauf so eindringlich hingewiesen wurde?“ wurde ich gefragt.
Man hätte auch fragen können: „Welche Leiche hatte dein Vater im Keller?“
Was hätte ich geantwortet? Wahrscheinlich: „Dieselben Leichen wie diese Sekte!“

Es war ja das erste Mal nach vielen Jahren, dass ich wieder in so einer „Kirche“ war.
Als „Geschädigter“ und „Leidtragender“ fällt es da nicht leicht, das subjektive Empfinden von einer möglichst objektiven Betrachtung zu trennen.
Subjektiv fühlte ich mich schlicht miserabel. So vieles aus der Erinnerung kam hoch. Beklemmend. Vielleicht kennt es der eine oder andere? Man bekommt ein regelrechtes Sausen und Brummen im Köpfchen, die Luft wird knapp, und die Gedanken wollen „fliehen“.
Ich habe mich dabei ertappt, wie ich auch heute, wo ich meine viel gereifter und gelassener der Sache gegenüber zu sein, so etwas wie einen „eingebauten Schalter“ habe, der sich am liebsten gleich nach dem ersten Wort „vom Altar“ umlegen und auf „Durchzug“ schalten möchte.
Subjektiv (und doch auch objektiv) habe ich viel, viel SCHEIN-Harmonie und (erzwungene) Anteilnahme bei gleichzeitiger lästiger Pflichterfüllung wahrgenommen.

Objektiv, auch nachdem ich „Religion“ (Ich halte mich wahrlich nicht für einen „Theologen“, also eine Gelehrten der theologischen Schriften) erst nach meinen Ausstieg aus der NAK richtig kennengelernt und vertieft habe, muss ich sagen: Selbst für Laienprediger ist gut gemeint halt leider oft nur schlecht gemacht.
Die pseudogelehrte Auslegung der Bibelworte (hier wurde Apostel Paulus zugrunde gelegt), ließen mir meine geistigen Nackenhaare zu Berge stehen. Die Vermischung von – gut gemeinter – und (angeblich) wissender Lehre von Gott, Jesus und dem Heiligen Geist – nun ja.
Alles gemixt mit rührenden, an die tiefsten Gefühle appellierenden rührenden „G’schichtle“ (was man so alles glaubensmäßig prägend mit meinem Vater miterlebt hat) – für einen „normal“ denkenden Menschen mit dem Wissen über die ganzen (damaligen) Hintergründen zu dieser Sekte ein kruder Mix.

Ich habe saß weit auf der Seite und habe still (und natürlich unauffällig) „beobachtet“: Mir kam mehrfach der Gedanke: So ist das, wenn „Mensch“ mit Gewalt glauben möchte. Und auch: Da wird „Glauben“ gefährlich.
Bemerkenswert vielleicht dann auch noch (wie ich es auch in anderen Threads hier immer wieder herauslese), wie man mir, dem Zeitzeugen und demjenigen, der „das Alles“ hautnah, höchst persönlich und bis heute noch in vielen Bereichen meines Lebens „Spürbarem“ miterlebt hat, immer wieder von Seiten der „Gläubigen“ beibringen möchte, wie ich es wahrzunehmen, einzuordnen, zu bewerten und – natürlich glaubensmäßig – anzunehmen hätte.
Manche „Geschwister“ (auch hier im Forum) tun sich da sehr unbotmäßig und – für mich – sehr unangenehm hervor.

Wahre, echte und wohltuende, sowohl in ihrer Ausdrucksart, als auch in dem, was ohne Worte, allein bei einem Händedruck und mit Blicken, die wirklich tief blicken ließen, Anteilnahme und „echtes Mitfühlen“ kam mit absolutem Abstand von jenen, die – auch heute – die Vergangenheit nicht leugnen und sich im Verlauf der Jahrzehnte deutlich und auch nach außen von der Sekte distanziert haben.

Trotz allem: Ich sehe, ja ich fühlte, die schwierige Situation des Vorstehers. Ich spürte, wie er sich – in diesem Fall, wo halt Angehörige und Zeitzeugen die Hauptbeteiligten sind – sehr sehr schwer tat. Wie er versuchte „einen Mittelweg“ zu gehen. Der – aus meiner Sicht – von vorneherein zum Scheitern verurteilt war. Er hat diese schwierige Aufgabe, die eben m. E. nicht zu lösen war (nicht über die Sektenschiene!), gut gemeistert.
Besonders deshalb, weil er als Mensch (ganz ohne seinen Glauben) ein patenter Kerl ist, der mit beiden Beinen im Leben steht. Oder anders gesagt: Er, als der Vorsteher dieser – inzwischen sehr geschrumpften – Gemeinde, hatte einen riesen Vorschuss bei mir.

Der Tod war eine Erlösung für meinen Vater.
Die letzten Tage, in denen ich meist bei ihm war, hat er nur noch gekämpft und gelitten.
Sehr belastend – und wie ich meine auch zu spüren – war, dass die, die immer so getan haben, als wäre er das Wichtigste und Liebste in ihrem Leben, ab dem Moment, wo es ihm wirklich schlecht ging, für niemandem mehr auf egal-welchem Kommunikationsweg erreichbar waren.
So war ich in seiner letzten Stunde mit ihm und meiner Mutter alleine. (Es wäre wahrscheinlich einfacher gewesen, meine Mutter wäre nicht auch dabei gewesen. Sie ist ja ebenso bettlägerig, hat überhaupt nicht verstanden, was da vor sich geht, und brauchte „auch“ meinen Trost und meine Zuwendung.)

Ich weiß nicht, wo er jetzt ist, oder ob er überhaupt noch „irgendwo“ ist.
Aber wenn, dann, so denke ich, wird es ihm wie jedem von uns gehen, wenn wir eine schwierige Zeit hinter uns haben, zurückblicken, unsere Irrtümer und eventuelle gemachten Fehler erkennen können: Er würde, könnte er nochmal leben, vieles anders machen, andere Fehler machen, Gutes aus der vergangenen Erfahrung in sein Leben einbauen, und manches, das neu hinzukommen würde, genauso oft und genauso wenig richtig oder falsch machen, wie in seinem ersten Leben.
So sind wir Menschen. Wir lernen niemals aus,
Und – ein bisschen, so ist es jedenfalls bei mir und meinem Umfeld – lieben wir uns auch gerade wegen unserer Macken und Fehlern.

Herzlichst
Jinn

Boris

Re: Die unglaubliche "Glaubensgeschichte" meines Bruders

#78 Beitrag von Boris » 27.02.2018, 16:11

Lieber Jinn,

herzlichen Dank für den Abriss aus deinem Leben.
Deine Schilderungen entsprechen der Realität. Genauso hatte sich alles abgespielt und spielt sich immer noch ab, auch wenn die Fassade wechselnd aufgehübscht wird.

Nur weil die Wahrnehmung mancher Mitmenschen eine völlig andere ist (oder anders vorgegaukelt wird), ist es nicht anders. NAK und ihre Mitglieder versuchen nur gelegentlich eine Verkaufsveranstaltung zu zaubern.
Überall ein bisschen weggelassen, nicht wahrgenommen und schöngeredet. So kommt man an manchen Stellen schon etwas weiter, allerdings entspricht es keiner überwiegenden Wahrheit. Es ist eine zurechtgeschnittene Wahrheit. Beim Arbeitgeber würde man wieder rausfliegen, wenn der den (Selbst-)Betrug merken würde.

LG Boris

Lulo
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Re: Die unglaubliche "Glaubensgeschichte" meines Bruders

#79 Beitrag von Lulo » 28.02.2018, 09:14

Jinn hat geschrieben:heute tut jeder dieser Beteiligten so, als wäre „der ganze Mist“ allein auf „dem Misthaufen meiner Eltern“ gewachsen.
Heute, so mein Sichtweise, versucht man zu vertuschen, zu verschweigen, zu verbiegen, ja, sogar zu verleugnen und zu verleumden.
„Damit hatten wir überhaupt nichts zu tun! Wenn Bruder X (mein Vater) das „so“ ausgelegt hat, dann war das allein seine Angelegenheit.“
Jinn hat geschrieben:So wie es dieses Umfeld von uns wusste, so wusste ja auch ich, dass z. B. der Sohn des Vorstehers bei dem geringsten Vergehen quer durchs Wohnzimmer geschlagen wurde, oder meiner Schulfreundin, die sich schwanger weigerte den Vater des ungeborenen Kindes zu nennen, das heilige Abendmahl verweigert, und sie aus dem Chor ausgeschlossen und in die hinteren Kirchenbänke verwiesen wurde, und Vieles mehr, was eben in dieser neuapostolischen Gemeinde gang und gäbe war.)
Hallo Jinn,
es ist erschreckend, so etwas zu lesen. Ich weiß genau, wovon du schreibst. Es ist wirklich genauso gewesen. Und auch ich habe erlebt, dass versucht wird, im Nachhin die gängige Praxis von damals zu relativieren, abzuschwächen, zu entschuldigen im Sinne von: das waren einzelne Entgleisungen. Aber das ist nicht wahr. Es war eine von der Kirchenleitung geduldete, wenn nicht sogar gewollte Praxis, dass einzelne Gläubige bei "Vergehen" abgestraft wurden, indem sie z. B. aus dem Chor ausgeschlossen wurden. Meine Mutter war auch schwanger vor der Hochzeit, deshalb musste sie separat zu einer Sündenvergebung beim Vorsteher antanzen. Merkwürdig, dass diese "Sünde" nicht während des normalen GD vergeben wurde. Auch die gängige Praxis, dass Kinder geschlagen wurden (im meine keinen Klaps, sondern wirklich geschlagen), wurde allgemein akzeptiert, sogar wenn sie während des GD aus dem Kirchensaal gezerrt und vor der Tür verprügelt wurden, so dass alle im Kirchensaal es hören konnten - heute unvorstellbar. Damals hat dann mal schnell der Chor ein Lied angestimmt, um das Geschrei zu übertönen. Das waren KEINE Einzelfälle!!! Und ich bin heute noch sauer, wenn einer die Missetaten der Altvorderen in Schutz nimmt. NEIN! Es gibt keine Entschuldigung für so ein Verhalten und es wird nicht weniger schlimm, nur weil es Jahrzehnte lang her ist.
Wer loslässt, hat beide Hände frei.

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Re: Die unglaubliche "Glaubensgeschichte" meines Bruders

#80 Beitrag von Bezirks-Elster » 28.02.2018, 09:31

Lieber Jinn,
meine Anteilnahme für die Ereignisse in den letzten Tagen in deiner Familie. Den Abschied von deinem Vater.
Habe auch vielen Dank für den letzten Beitrag. Habe ihn mit viel Interesse gelesen.
Finde es sehr gut, wie du mit den ganzen Paket an Gefühlen in der jetzigen Lebenslage umgehst und deinen Weg durch das "Dickicht" bahnst....
Viele Grüße
BE
"Liebe Geschwister, `im Natürlichen` gibt es den Bewehrungsstahl ....."
Co-Predigt zum Thema "Bewährung" in einer deutschen Landeshauptstadt im Jahr 2015

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