Hallo Anne,
Anne hat geschrieben:
Deshalb - liebe organa - finde ich es zwar grundsätzlich gut und wichtig, einen kühlen Kopf zu behalten und eine Situation genau zu betrachten, sehe aber immer die Diskrepanz zwischen dem Systemerhalt (um es mal so zu nennen) und der eher menschlichen Ebene (um sie mal so zu nennen).
Ich habe noch nicht erlebt, dass wirklich klärende Gespräche zu stabilen Lösungen geführt hätten.
grundsätzlich gebe ich Dir Recht.
Allerdings ist der "Systemerhalt" (wenn wir es denn so nennen wollen) nicht unbedingt und immer etwas Schlechtes, so, wie die "menschliche Ebene" nicht immer zwangsläufig etwas Positives sein muß.
Man darf auch nicht vergessen, daß evangelische Strukturen völlig anders sind als neuapostolische: Hier menschliche Gemeindeebene, dort systemerhaltende Kirchenleitung - das funktioniert so nicht.
Ein Presbyterium arbeitet jede Woche mit dem Pfarrer zusammen. Es setzt sich aus Gemeindegliedern zusammen, die gleichzeitig in der Gemeinde aktiv sind - insofern sind die Grenzen äusserst fliessend. Wenn Konflikte ausbrechen - so wird in der Regel zunächst auf der menschlichen Ebene nach Lösungen gesucht, denn schließlich sieht man sich ja jeden Tag. (Was bei einer Kirchenleitung im fernen xy und einer Gemeinde vor Ort so nicht der Fall ist)
Ich habe im Laufe meiner Presbyterzeit bereits mehrere heftige Konfliktfälle erlebt und war an den klärenden Gesprächen auch meist beteiligt - manchmal trugen sie wirklich zu Klärung und Lösung bei, seltener überhaupt nicht. Und dabei war es keineswegs so, daß einer kleinen lebendigen Gemeinde Kirchenvorschriften vor die Nase gehalten worden wären: Genau das macht ja den Unterschied aus: Die Gemeinde bildet das Leitungsgremium.
Und in der Regel tut auch das weh: Konflikte, die innerhalb der Gemeinde nicht gelöst werden können, obwohl alle einen menschlichen Draht zueinander haben, seit Jahren miteinander wirken und/oder arbeiten. Die sich seit Jahren gut kennen und auch oft privat viel Zeit miteinander verbringen.
Ich habe es als sehr schmerzhaft empfunden, als Konflikte nicht mehr zu lösen waren - weder auf der menschlichen, noch auf der strukturellen Ebene. Meinen MitpresbyterInnen ging es ebenso - es gab Tränen, Hilflosigkeit, Schmerz und auch Zorn. Und irgendwann die Einsicht: Es geht nicht mehr. Über den menschlichen Bemühungen begann eine Gemeinde, Schaden zu nehmen. Partei wurde ergriffen (obwohl viele Gemeindeglieder die Zusammenhänge nicht kannten), erste Gruppen und Kreise gingen zu Bruch. Und immer noch nicht war der Betreffende willens, in Gesprächen einen Kompromiß zu suchen oder wenigstens einzusehen, daß er an diesem Konflikt (den man ja vielleicht noch gemeinsam hätte lösen können) maßgeblicher Verursacher war - nichts.
In solchen Stuationen gibt es selten nur gut und böse. Und ich habe bei manchen Fories Zweifel, ob sie sich nur im Ansatz vorstellen können, wie schlimm und schmerzhaft eine solche Situation für ALLE Beteiligten sein kann - Mit Machterhalt hatte das in den mir bekannten Fällen sehr wenig zu tun. Eher mit Notwehr, um eine Gemeinde zu retten. Und darum stört mich die Einseitigkeit, mit der manche argumentieren (ich meine nicht Dich).
herzlich grüßt
organa