TRAURIGKEIT...?

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Tatyana

#21 Beitrag von Tatyana » 06.11.2008, 08:11

Pritzebilsky hat geschrieben:Tatyana, du schreibst:
Daß jeder so leben dürfen sollte, wie es ihm gefällt, wenn er dem anderen nicht schadet, heißt nämlich, daß alle wieder Beschränkungen unterworfen sind und Extreme sowieso wegfallen. Also alle gleich und weichgespült. Schlimmer als in jeder kirchlichen Idealvorstellung
Natürlich sind in einem sozialen Gebilde, ob nun Staat oder Schule oder Verein oder was auch immer, alle gewissen Beschränkungen unterworfen. Sonst herrschte das Gesetz des Stärksten oder völlig chaotische Zustände. Von daher ist mir dein Einwand ein großes Rätsel.
Auch warum Extreme wegfallen sollten, verstehe ich nicht. Warum sollte der Punk, der, sagen wir mal, alle bürgerlichen Werte radikal ablehnt und versucht, eigene Werte zu leben, deswegen wegfallen?
Warum sollte z.B. ein Messie oder einer, der abweichende sexuelle Präferenzen hat, wegfallen?
Dass jeder so lebt, wie es ihm vorschwebt, setzt zum einen nicht grundlegende soziale Zusammenlebens-Regeln außer Kraft, bedeutet aber genauso wenig, dass es keine Extreme mehr gibt, was nebenbei gesagt, auch eine Unmöglichkeit ist. Denn selbst in einem Staat, der strengstens alles vorschreiben würde und wo alle bemüht wären, sich daran zu halten, gäbe es immer noch Extreme, die allerdings im Weltmaßstab gesehen lächerlich brav wären. Wenn das Trinken von Alkohol als todeswürdiges Vergehen eingestuft wird, dann ist der, der heimlich einmal im Monat einen Eierlikör trinkt, schon ein Verbrecher.
Und warum alles gleich und weichgespült ablaufen sollte, nur weil eine ethische Regel in Kraft ist, die auf gegenseitige Nichtverletzung der persönlichen Rechte beruht, ist mir ebenso schleierhaft.

Gruß
Pritzebilsky
Du schreibst doch selbst: solange niemand anderem geschadet wird. Extreme aber beeinflussen und schaden eigentlich immer, mindestens beschränken sie jemand anderen.
Der Messi schadet per se erst mal niemandem. Aber vielleicht treibt er die Rattenpopulation in seiner Umgebung ja hoch. Eine von denen beißt wiederum jemanden. Oder erschrickt auch "einfach" nur eine Hausfrau X beim morgendlichen Putzritual oder eine Omi beim Spaziergang. Schwupps, schon wurde jemandem geschadet.
Der mit den abweichenden sexuellen Präferenzen ist vielleicht zufällig Exhibitionist. Und praktiziert das in Gegenwart eines Kindes oder einer Nonne. Sicher, die werdens überleben. Aber Schaden ist geschehen.
Jemand, der ökologisch-alternativ leben möchte, lebt zufällig neben einem, dessen Traum es ist, ohne jede Rücksicht auf Umwelt o.Ä. möglichst viel möglichst schnell möglichst billig für möglichst viele Arme Nützliches zu produzieren. Die beiden schaden sich gegenseitig.

Pritzi, so einfach ist Utopia nicht...und weil nicht jeder seine kleine einsame Insel hat, wo er ungestört seine Träume leben kann, beeinflußt das, was der eine tut, immer den anderen. Also müßten für eine ideale Gesellschaft Extreme rausfallen, weil die nicht verkraftbar wären. Und du sagst es ja selbst: damit pendelt sich die Waage irgendwann gegen Null und selbst Kleinigkeiten werden zum Verbrechen. Weil auch sie den Nächsten beeinflussen und damit einschränken.
Was ja an sich schon wieder einen Schaden bedeutet, und seis auch nur der an der eigenen Willensfreiheit und am eigenen Ego.

Und auch das, was man nicht tut, kann ja einem anderen schaden, wenn man ihm nicht gibt, was er nun grade zu brauchen meint, sei es ein Lächeln, ein Kuß, sonstiges.

Pritzebilsky

#22 Beitrag von Pritzebilsky » 06.11.2008, 20:22

Tatyana, du redest zwar so, als ob du auf meine Beiträge eingehst, tust es aber nicht.
Pritzi, so einfach ist Utopia nicht...und weil nicht jeder seine kleine einsame Insel hat, wo er ungestört seine Träume leben kann, beeinflußt das, was der eine tut, immer den anderen.
Wo hab ich irgendwas von Utopie erwähnt? Ich habe die Lebensbedingungen, unter denen wir gezwungen sind zu leben, kritisiert. Sehr abstrakt und ganz allgemein, die einzige Konkretisierung war der Wunsch eines "lebendigen" Lebens, was so auch noch ganz unbestimmt ist. Aber unbestimmt und vage heißt eben nicht Utopie. Die ließe sich nämlich wunderschön ausschmücken.
Du solltest wirklich mal am Text bleiben.

Ja und natürlich beeeinflusst alles, was jemand tut, irgendwie auch andere. So what?
Extreme aber beeinflussen und schaden eigentlich immer, mindestens beschränken sie jemand anderen.
Ja, auch die vor Liebe zu ihrem Enkelchen überquellende alte Omi stellt eine Gefahr für diesen dar. Sie könnte ihn ja vor lauter Liebe zerquetschen.
Deine Beispiele sind konstruiert und missverstehen mich absichtlich.
Beim Messie rennen gleich die Ratten herum, die dann die Rattenpopulation wiederum "hochtreiben", so daß jemand gebissen wird.. Soll ich das ernst nehmen?
Auch deine Ausführung zum Exhibitionisten ist völlig daneben: erstens würde er mit dem Sich-vor-Kindern-exhibitionieren die Regel verletzen, die ich als Grundlage gerade vorausgesetzt habe, nämlich anderen nicht zu schaden. Darüberhinaus meinte ich natürlich, dass sexuelle Präferenzen nicht sozial geächtet werden müssen. Ob bi- oder homosexuell, ob sadomasochistisch oder exhibitionistisch, sagt noch gar nichts darüber aus, ob hier jemandem geschadet wird. Eher das Gegenteil ist der Fall. Die soziale Verdrängung, das Tabuisieren führt oft gerade zum Gegenteil des Erwünschten. Homosexuelle Subkulturen oder Sadomasochisten, die sich auf ihre eigenen Kreise beschränken, sind ein Beispiel für gelungenes Ausleben, ohne sozialen Schaden anzurichten.

In einer idealen Gesellschaft würden die Extreme toleriert, da man sie als "normale" Erscheinungen der Vielfalt der Lebensstile anerkennen würde. Alles, was du als mögliches schädliches Verhalten konstruierst, besteht sowieso, unabhängig von "ideal" oder nicht. Aber nicht der einzelne Messie stellt eine Gefahr hinsichtlich Rattenvermehrung dar, sondern viel eher die sanitären Verhältnisse, die herrschen. Allerdings, da muss ich dir recht geben, stellt eine Produktion von Waren, die keinerlei Rücksicht auf die Umwelt nimmt, eine beträchtliche Schadensquelle dar. Das wäre aber wieder ein Beispiel für sozial nicht erwünschtes, weil allgemein schädliches Verhalten und hat andere Dimensionen, als einer, der auf die Mülltrennung pfeift.

Dass jemand, der "sein Extrem" lebt, damit jemandem schadet, hat nichts damit zu tun, dass es sich um ein Extrem handelt, sondern damit, dass potentiell jedes - auch und gerade oft das gutgemeinte Verhalten - Schaden anrichten kann. Siehe die ihr Enkelkind zerquetschende Omi. Oder die Eltern, die ihr Kind mit ihrer Liebe ersticken, auch Overprotection genannt.

Ich habe auch nicht von einer Gesellschaft gesprochen, in der niemand niemandem mehr schadet. Das scheint dein großes Missverständnis zu sein. Es geht um eine allgemeinverbindliche ethische Regel, die auch als kategorischer Imperativ oder "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu" bekannt ist.

Ich wollte ursprünglich auch nur zu bedenken geben, dass "Hoffnung" zwar ein positiver Wert ist, aber konkretisiert werden sollte. Oder ist es von gleicher Bedeutung, ob ich auf einen Lottogewinn oder darauf hoffe, dass mein ekliger Kollege bald den Abgang macht oder darauf, dass es für alle bessere Lebensbedingungen gibt? Wobei es im letzteren Falle mit der Hoffnung nicht getan wäre, sondern etwas getan werden müsste, um Hoffnung nicht als billiges Mitgefühl rumwabern zu lassen.
Im christlichen Gebrauch ist oft von so hehren Gefühlen wie Glaube, Liebe, Hoffnung die Rede. Interessanter finde ich aber immer die Taten.
Leider hat meine Anregung aber außer Missverständnissen nicht viel Resonanz ausgelöst. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass auch möglichst viele Christen sehen, dass "Hoffnung" mehr sein kann als ein Hoffen auf ein besseres Leben im Jenseits.

Grüße
Pritzebilsky

Tatyana

#23 Beitrag von Tatyana » 07.11.2008, 09:55

Utopia heißt soviel wie "Gut-Ort" oder "Nicht-Ort". Von daher ist jedes Sehnen nach und jede Vision von einem anderen, besseren, Leben Utopie.

Zugegeben, bei meinen Beispielen habe ich den großen Eimer schwarze Farbe herausgeholt und kräftig schwarzgemalt :wink: .
Worauf ich hinauswollte, ist jedoch Folgendes: alles, was irgend jemand tut, hat Auswirkungen. Die wiederum beeinflussen mehr oder weniger indirekt auch das Leben der Mitmenschen. So etwas wie kleine autarke Inseln gibt es in einer Gesellschaftt nicht wirklich, und je größer die Gesellschaft, desto kleiner also die Möglichkeiten individueller Entfaltung. Und selbst wer sich, wie du schreibst, "auf die eigenen Kreise beschränkt" in Auslebung seiner Individualität, lebt deswegen ja nicht isoliert. Wo immer sich nun Berührungspunkte im Alltag nach außen ergeben, kann es auch (negative) Auswirkungen auf andere kommen. Und sei es nur die Ehefrau, die Kinder, die darauf warten, daß ihr Ehemann und Vater von seinem Privatvergnügen heimkehrt und deshalb mit dem Essen warten müssen. Banal? Sicherlich. Aber auch ein kleiner Schaden.

(und unterschätze nie die Omis, sie haben oft mehr Einfluß auf das Leben ihrer Enkel als die eigenen Eltern-aber das jetzt nur am Rande)

Massenproduktion ist sozial sehr erwünscht, da billig und deshalb auch für die Massen erschwinglich. Nur der, der nicht-umweltverträglcih herstellen kann, ist in einer idealen Gesellschaft nicht tragbar.

Eine ideale Gesellschaft darf also auch keine sozialen Probleme haben. Aber wäre das zu realisieren???

Eben. Auch gut gemeintes Verhalten kann schaden. My point exactly. Aber wenn du das billigend in Kauf nimmst, kannst du doch nicht andererseits fordern, daß die allgemeine ethische Regel sein soll "was du nicht willst..."? Damit würdest du ja implizieren, daß ein gewisser Teilschaden auch von einem selber zu tragen ist?
Sorry, hier kann ich dir jetzt tatsächlich nicht folgen...

Selbstverständlich wäre es gut, würde Hoffnung in jedem Leben konkretisiert. Und ja, es wäre gut, würde jeder Einzelne etwas beitragen, mehr Wärme unter- und miteinander entstehen zu lassen, sich selbst ein wenig hintanstellen statt immer nur ganz nach vorne. Dann bräuchten wir keine Religionen mehr, die Ethik mit erhobenem Zeigefinger predigen und Ideale fordern, die von den einen nur ausgenutzt werden, um die anderen willfähriger zu halten. Sicher, es wäre schön, bliebe manchem vom Leben mehr als die Hoffnung auf ein besseres Jenseits.

Utopia, wir kommen...

Pritzebilsky

#24 Beitrag von Pritzebilsky » 07.11.2008, 14:32

Hallo Tatyana,

lass uns unsere kleine verbale Wrestlingrunde beenden, vielleicht war sie ja auch für die anderen interessant.
Und wie beim Wrestling, zieh ich dir nochmal schnell von hinten tückisch an den Haaren, bevor ich mich aus dem Staub mache. :P

Grüße
Pritzebilsky

Tatyana

#25 Beitrag von Tatyana » 07.11.2008, 16:12

Dafür zieh ich dann die Leiter unterm Ring hervor und brat dir noch schnell eins drüber, bevor du endgültig weg bist :P

Pritzebilsky

#26 Beitrag von Pritzebilsky » 07.11.2008, 16:57

Damit musste ich rechnen! Bild

Tatyana

#27 Beitrag von Tatyana » 07.11.2008, 17:17

*tröst* Sorry, aber an meine Haare laß ich so schnell keinen :wink:

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tosamasi
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#28 Beitrag von tosamasi » 07.11.2008, 21:53

Einlassung nah am Thema:

  • Tue Gutes und treibe Traurigkeit fern von dir.
    Denn Traurigkeit tötet viel Leute und dienet zu nichts.
Bibel, griechisch tà biblia »die Bücher«, Buch der Bücher,
Heilige Schrift, das Wort Gottes,
durch Kirchenvater Chrysostomus im 4. Jh.
eingeführter Name des Religionsbuches der Christenheit
Nur der Einfältige fürchtet die Vielfalt
tosamasi

simpel

Akedia

#29 Beitrag von simpel » 29.08.2009, 06:56

Depression - "Die Wüstenväter als Therapeuten"

„In den allerschwersten Stunden hat der Glaube für mich
überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Mein Verstand und mein Wille mochten ihn wohl weiterhin
bejahen, aber für mein Herz war er unerreichbar. Er war kein Trost, keine Antwort auf verzweifelnd
quälende Fragen, keine Hilfe, wenn ich nicht weiter wusste. Ja, im Gegenteil: Nicht der Glaube trug
mich, sondern ich musste noch den Glauben tragen…“
Ein Einsiedler, der in seiner Gegend grossen Ansehen genoss, besuchte den Altvater Poimen. Der
Greis empfing ihn mit Freude, und nachdem sie sich umarmt hatten, begann der Besucher viel über
die heilige Schrift und von himmlischen Dingen zu sprechen. Da wandte Abbas Poimen sein Haupt ab
und gab ihm keinerlei Antwort. Als der Einsiedler sah, dass er nicht mit ihm sprach, ging er betrübt
davon und sagte zu dem Bruder, der ihn hergebracht hatte: „Ich habe diese ganze Wanderung
umsonst gemacht. Denn ich kam zu dem Greis, aber siehe, er will nicht mit mir reden!“ Da ging der
Bruder zum Altvater Poimen hinein und sage: „Vater, deinetwegen kam dieser grosse Mann, der in
seiner Gegend ein so grosses Ansehen besitzt. Warum hast du denn nicht mit ihm gesprochen?“ Der
Greis gab zu Antwort: „Er wohnt in den Höhen und spricht Himmlisches, ich aber gehöre zu denen
drunten und rede Irdisches. Wenn er von den Leidenschaften der Seele gesprochen hätte, dann hätte
ich ihm wohl Antwort gegeben. Wenn er aber über Geistliches spricht, so verstehe ich das nicht.“ Der
Bruder ging nun hinaus und sagte zu dem Einsiedler: „Der Greis redet nicht leicht von der Schrift,
aber wenn jemand mit ihm von den Leidenschaften der Seele spricht, dann gibt er ihm Antwort.“ Er
besann sich und ging zu ihm hinein und sprach zu ihm: „Was soll ich tun, wenn die Leidenschaften
der Seele über mich Macht gewinnen?“. Da achtete der Greis freudig auf ihn und sagte: „Jetzt bist du
richtig gekommen, nun öffne einen Mund für diese Dinge und ich werde ihn mit Gütern füllen.“
Wie in dieser Geschichte ausgedrückt, haben sogar religiöse Überzeugungen in den Hintergrund zu
treten, um dem eigenen Erleben mitsamt den erfahrenen Nöten Platz zu machen. Deshalb kann
Abbas Pastor warnen: „Halte dich fern von Menschen, die immer nur debattieren“.
Quelle

Anne

#30 Beitrag von Anne » 22.09.2009, 10:32

Und noch eine Verbindung :wink: :

Wir verstehen es meisterhaft, schöne Sätze übers Leiden zu machen. Auch ich habe übers Leiden in ergreifenden Worten gepredigt. Sagen Sie den Priestern, dass sie lieber schweigen sollen. Wir wissen nämlich nicht, was Leiden heisst.

Pierre Veuillot, Erzbischof von Paris, zu einem befreundeten Bischof (1968)

Gesperrt

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