Um Trost ist mir sehr bange . . .

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Maximin

#21 Beitrag von Maximin » 14.04.2008, 09:14

:) Mein lieber Brombär,
Dein Bericht hat mich sehr beeindruckt. Warum? Na weil er aus einem barmherzigen Herzen kommt und deshalb aufrichtig anteilnehmende Herzen findet. Du schreibst u. a.: „In unserer schnelllebigen Zeit laufen wir Gefahr, die Sorge und Nöte der Alten, Kranken und Verlassenen zu übersehen. So, wie alle Dinge unter dem Himmel ihre Zeit haben, so war oder ist dies meine Zeit wohl zu tun und mitzuteilen.“

Anne schrieb oft: „Berührung ist alles“ und sie hat Recht damit. Tergram hat mich in diesem Forum mal gefragt, ob ein Moderator Impulse geben müsse. Dein Bericht ist so ein Impuls, einer der berührt und Mut macht. Es gehört Mut dazu, sich gegen die immer mehr um sich greifende Anteilnahmslosigkeit zu wehren. Wie aber bitteschön kann ich Anteil nehmen, wenn sich mir der andere nicht mitteilt...?

Du schreibst auch noch: „Es entstand jene Verbundenheit, die ich so gerne mit meinem Vater gehabt hätte, der sich aber... “. Mir ging es mit meinem Vater genauso und ich denke sagen zu können, das wir darunter beide gelitten haben. Als ich mich darüber bei einem Seelenklempner beklagte meinte der: „Lassen sie ihren Vater endlich los und werden sie selber einer“.

Es stimmt, dass „wir“ gelernt haben, im Leben dienen und gehorchen zu....! Ja was eigentlich - zu müssen, gerne zu wollen und von Herzen gerne auch zu können? Ich verstehe alle, die diese Art von dienen und gehorchen müssen nicht mehr wollen und können. Warum? Na weil die Vertrauensbasis einseitig beschädigt und sogar irreparabel zertrampelt wurde.

Wer weiß schon wie das Sterben wirklich ist. Ich erlebe das gerade bei meinem uralten Vater mit. Nach meinem Eindruck geht es ihm ähnlich wie Deinem Freund Hans wenn der sagte: „Wir haben im Leben dienen und gehorchen gelernt und wir werden uns deshalb in unserer letzten Stunde in dieser Tugend üben und nun geh mit Gott mein alter, lieber Freund“.

Ich glaube, dass alles darauf ankommt wem wir wirklich vertrauen können. Im Leben mit unseren Mitmenschen kommen wir dabei ohne ein erprobtes Urteilsvermögen nicht aus. Im Verhältnis zu unserem Herrn und Heiland sollte ein unverkrampfter gesunder Christenstand ausreichen.

Liebe Grüße vom Micha :wink:

uhu-uli

#22 Beitrag von uhu-uli » 14.04.2008, 15:38

Lieber Brombär,

Es freut mich, das ihr gemeinsam intensive Stunden erleben konntet. Den anderen spüren lassen, was er einem bedeutet, es in Worte zu fassen. Das ist ein Geschenk, dass das Wissen um den bevorstehenden Abschied mit sich bringen kann, im Gegensatz zu einer unerwarteten Todesnachricht.

Eben stolperte ich über ein Lied vielleicht gefällt es dir ...

Deine Uli

EG 170 Komm, Herr, segne uns

1. Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen, / sondern überall uns zu dir bekennen. / Nie sind wir allein, stets sind wir die Deinen. / Lachen oder Weinen wird gesegnet sein.
2. Keiner kann allein Segen sich bewahren. / Weil du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen. / Segen kann gedeihn, wo wir alles teilen, / schlimmen Schaden heilen, lieben und verzeihn.
3. Frieden gabst du schon, Frieden muss noch werden, / wie du ihn versprichst uns zum Wohl auf Erden. / Hilf, dass wir ihn tun, wo wir ihn erspähen / die mit Tränen säen, werden in ihm ruhn.
4. Komm, Herr, segne uns, daß wir uns nicht trennen, / sondern überall uns zu dir bekennen. / Nie sind wir allein, stets sind wir die Deinen. / Lachen oder Weinen wird gesegnet sein.


Brombär

Um Trost war mir sehr bange.

#23 Beitrag von Brombär » 06.06.2009, 12:48

Ein Jahr ist schnell vergangen und ein neues Ostern war Anlass, mich auf die Reise nach Siebenbürgen zu begeben.

„ Gnadenfrist „ hatte mir damals mein lieber Freund Hans entgegnet und tatsächlich vollendete er im Januar dieses Jahres sein 86. Lebensjahr. Allerdings ist diese seine Gnadenfrist schwer für ihn und seine Hedwig geworden..

Hans war im Frühsommer 2008 in seiner Werkstatt von seiner Frau besinnungslos aufgefunden worden und dies auch nur, weil sich ein Besucher nach ihm erkundigt hatte.

Wieder einmal konnte er, Dank ärztlichen Bemühens, dem irdischen Tod entkommen.
Es ist allerdings so, dass Hans nunmehr ein langes Krankenlager in seinem Haus antreten muss, wobei die arme Hedwig ( ebenfalls über 80 ) seine Versorgung samt aller sonst haushalterischen Aufgaben allein erfüllen muss.

Wer sich diese ärmliche, ländlichen Idylle vorstellen kann, wird erahnen, dass eine Toilette nicht im Haus anzutreffen ist, sondern über dem Hof, dass Wasser aus dem Brunnen geschöpft wird und dass Heizungswärme per Holz besorgt wird und dies im oberen Stock, weil unten Keller, Nutzräume und Werkstatt vorhanden sind.

Nun, Hans hatte es schwer erwischt. Er hatte zwar relativ schnell seine Prellungen vom Sturz überwunden, aber sein Gedächtnis war verwirrt. Im Laufe der Wochen begann er zu phantasieren und forderte Hedwig auf, „ nunmehr „ diese Herberge zu verlassen “ und ihn in sein gewohntes Haus heim zu begleiten. „. Er war zuweilen überzeugt, dass er in einem Heim sei, bei dem er gepflegt werden sollte und andererseits wieder war es ihm ein Anliegen, dass seine Hedwig alle ( nicht vorhandenen ) Kühe, Büffel, Hühner, Schweine und sonstiges Vieh ausreichend gefüttert habe.

Im Lauf der Zeit begann er massiv zu drängen „ nach Hause „ gebracht zu werden. Alle Hinweise : „ Schau mal, hier ist dein Bett, dein Fernsehgerät, deine Wohnzimmereinrichtung „ waren ihm völlig einerlei, er wollte heim und ignorierte jedweden Beweis. Einen Rollstuhl, welcher ihm aus Deutschland besorgt wurde, lehnte er ab. Niemand würde ihn im Dorf mit diesem Vehikel zu sehen bekommen. Es war schwierig mit Hans.

Es vergingen acht Monate, in welchen er ausnahmslos im Bett verbrachte. Am Montag, 6. April, unserer Karwoche, suchte ich sein Haus auf und konstatierte ein Bild des Zerfalls.
Wohl hatte ihn Hedwig frisch gewaschen, rasiert und angekleidet, aber Hans war nur noch ein Schatten seiner selbst. Tief liegende Augen leuchteten noch immer als ich ihm gegenübersah.
Seine Haut sank zurück in die Wangenkehlen. Seine schneidebedürftigen, weißen Haupthaare standen etwas wirr und verlegen vom Nacken. Er war mit vielen Decken zugedeckt, denn sein hautüberzogener Knochenbau fröstelte in diesem noch kühlen April-Nachmittag.

„ Hallo mein guter, alter Freund, wie hast du mich gefunden ? „ So klar und doch so wirr waren seine ersten Worte zu mir. „ Ja Hans, wie wohl ? „ frug ich, „ ich bin einfach zu deinem Haus gegangen ! „

„ Dort konntest du mich nicht angetroffen haben „ entgegnete Hans, „ dort ist momentan niemand, denn noch immer nicht hat man mich von hier heimgebracht.“

Hedwig nickte mir zu und zuckte die Schultern: „ So geht es seit Monaten „.

Es war wieder einmal ein Moment des bangen Trostes. „ Hans „ sagte ich, „ Ich bin nun wieder hier im Land und ich werde dafür sorgen, dass du in dein heimatliches Haus kommst.“ „ Hans nickte dankbar und versicherte mir „ bitte nicht vergessen ! „ Wie ich das bewerkstelligen wollte, hatte ich noch keine Ahnung.

Am Karfreitag war ich zum zweiten Mal bei meinem Freund. Hans hatte eine, für Hedwig völlig überraschend, geistige Klarheit. „ Was meinst du „ fragte er mich, „ könntest du mich vielleicht mit diesem Rollstuhl etwas zu deinem Hof fahren ? Es ist doch so schönes Wetter draußen. „

Hedwig war baff. Alles hatte sie erwartet, dies aber nicht. Nun, nach mühevollem Schleppen über 14 Stufen, hatten wir den Patienten auf dem Grundstück und Hans schien sichtlich die Sonnenstrahlen zu genießen. „ „ Es ist höchste Zeit, dass ich wieder an die frische Luft komme „ kommentierte er.

In meinem Hof stellte ich ihn an ein windstilles, sonniges Plätzchen und saß still neben ihm. Hans zog die frische Luft mit Zufriedenheit ein. Wir sprachen nur wenig, denn ich wollte ihn seinen Sinnen überlassen und gewärtig sein, falls er Fragen hätte.

Lange blickte ich Hans in die Augen, ohne dass es dies bemerkte. Mir schien, als dass er etwas sagen wollte, mit dem er noch nicht fertig war. Schließlich sprach er langsam und fest, in dem er mit geschlossenen Augen ins Sonnenlicht sah „ Mein lieber, guter Freund, auch von hier werden wir einmal frei ! “

An diesem Karfreitag-Nachmittag war eine wunderbare Klarheit und Stille zwischen meinem alten greisen Freund und mir.

Nach vielleicht einer Stunde wollte Hans dann wieder nach Hause, was ohne jegliche Probleme vonstatten ging. Hedwig war überwältigt und dankbar zugleich. Ein Trost vom Himmel war ganz unbemerkt und ohne Sorge über uns gekommen.

Noch einmal – am Ostersonntag – war Hans samt Rollstuhl in meinem Hof. Leider hatte er Schmerzen am Gesäß, weil Haut und Knochen aufeinander rieben, so dass wir ihn unverrichteter Dinge zu seinem Heim zurückbringen mussten. Am Spätnachmittag wurde ich unvorhergesehen zu ihm gerufen. Hans hatte sich auf allen Vieren die große Treppe hinunterbegeben und wollte mal wieder „ heim “. Ein Nachbar hatte ihn mit Gewalt daran gehindert, sein Grundstück zu verlassen. Als ich eintraf, bat mich Hans, ihn in sein Haus zu bringen, " zumal die um ihn Stehenden dazu offensichtlich nicht fähig wären ". Ich versprach ihm das und zusammen bestiegen wir mein Auto.

Zuvor hatte ich Hans versichert, dass er mir den Weg zu seinem Haus weisen müsse und dass es auf ihn ankomme, das wir diesen Weg finden. Dann fuhren wir die breite Dorfstraße hinauf.

Am Ende des Dorfes befahl mir Hans zu wenden. „ Wir sind hier nicht in Ordnung „ befand er.

Nach dem Rückwärtsmanöver gebot er mir eine Seitenstraße abzubiegen. „ Stop, halt , bevor wir uns hier völlig verfahren, biegen wir lieber wieder auf die Hauptstraße zurück ! “ ( Dort, an dieser Hauptstraße des Straßendorfs , steht Hans´ Haus )

Nachdem ich langsam der Straße entlang gefahren war, fragte ich, ob an seiner Einfahrt ein Absperrzaun zu finden sei. „ Jawohl, das ist so “ bestätigte mein orientierungsloser Begleiter.
Ganz langsam fuhr ich zu diesem Absperrzaun vor und fragte, ob es eventuell hier sei, wo er wohne. „ Hans arbeitete fieberhaft mit seinen Augen und allen weiteren Sinnen.

„ Jawohl, halt bitte hier ! Hier ist mein Haus. Entferne den Absperrzaun und fahre hinein in den Hof. Ich bin gewiss, hier sind wir “. Hans war völlig erschöpft, dass er sein Haus nun gefunden hatte.

Als ich mich verabschiedete, versprach er mir, dass er nun endgültig daheim sei und dass er nunmehr keinen Zweifel mehr aufkommen lasse.

Als ich mich nach knapp zwei Wochen von den beiden lieben Leutchen verabschiedet hatte, versicherte mir Hedwig, dass Hans nicht mehr sein Zuhause vermisst hätte.

Beim Händeschütteln segnete er mich für die Heimreise und wischte heimlich seine Tränen.






Kennst du die Nacht, die auf die Erde sinkt
Bei hohlem Wind und schwerem Regenfall,
Die Nacht, in der kein Stern vom Himmel blinkt,
Kein Äug' durchdringt des Wetters dichten Wall?
Kennst du die Nacht, die auf den Geist dir sinkt,
Dass er vergebens nach Erlösung schreit
Wenn dich der Tod aufs letzte Lager streckt
Und nah der Ruf der Ewigkeit erklingt,
Dass dir der Puls in allen Adern schreckt;
So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen;
O lege dich zur Ruh, und schlafe ohne Sorgen!


( aus K. May )

bonsai

#24 Beitrag von bonsai » 08.06.2009, 14:12

Danke.

Dieter

#25 Beitrag von Dieter » 08.06.2009, 17:03

Danke für Deinen Bericht, lieber Brombär!

Brombär

Re: Um Trost ist mir sehr bange . . .

#26 Beitrag von Brombär » 03.06.2010, 22:17

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HANS

geb. 1923
gest. 25. April 2010



Fast neidisch rühret mich dein friedlich Schlafen,
dich quält nicht mehr der Erde raue Art !
Dein Lebensschiff liegt still in Gottes Hafen,
geglättet sind die Wogen deiner Fahrt.

( G.H.Karau )

In Hochachtung und Liebe
Brombär

Gesperrt

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