Leben erhalten um jeden Preis?

Christliche Ethik
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tosamasi
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#31 Beitrag von tosamasi » 19.11.2008, 20:05

Ich bin nicht der Meinung, dass sich 'normale' Menschen in ihrem Lebenswandel darin unterscheiden, ob sie einen Jenseitsglauben haben, oder nicht. Die innere Moral funktioniert auch ohne Androhung von Höllenstrafen. Wieviele der 'Christen' heute sind Christ-gläubig? Selbst auf dem Land sieht man fast nur die Alten in den Kirchen.
Vielfach fehlt gar das elementarste Wissen über christliche Feiertage.
Ich denke, moralische Qualitäten haben etwas mit Erziehung und den entsprechenden Umweltfaktoren zu tun.
Nur der Einfältige fürchtet die Vielfalt
tosamasi

Katze

#32 Beitrag von Katze » 19.11.2008, 21:30

Hi,

mir geht es auch so, eine gewisse Angst vor dem Danach habe ich auch... weil wir es eben nicht wissen, was nach dem Sterben wirklich kommt.

Aber es gibt etwas, dass mir noch mehr Angst macht, nämlich ein langes Sterben...

Eine, mit meiner Mutter befreundete Frau hat einen sehr schweren Verkehrsunfall überlebt...
Beine amputiert, innere Verletzungen, schwerste Gesichtsverletzungen und wahrscheinlich vom Halse an abwärts gelähmt...

Ich habe keine Ahnung, ob eine Patientenverfügung auch hierbei hilfreich wäre und berücksichtigt würde...? Wenn ich von mir persönlich ausgehe, möchte ich unter solchen Umständen nicht mehr...
Bitte verzeiht, dass ich dies so hart ausdrücke.

lg Katze

tergram

#33 Beitrag von tergram » 19.11.2008, 23:22

Ja, man denkt immer, dass man selbst unter bestimmten Umständen lieber nicht mehr leben möchte... Tatsache ist aber, dass häufig die sterbenskranken und leidenden Menschen mit einer ungeheuren Intensität an dem "bißchen Leben" hängen, das ihnen noch bleibt.

Vor 30 Jahren dachte ich, dass ich niemals ein Leben im Rollstuhl leben könnte - so ein Schicksal erschien mir als Grund, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Darüber kann ich heute nur milde lächeln. Man wächst mit zunehmender Lebenserfahrung und gewinnt ein anderes Bild.

Heute denke ich, dass ich nicht alt und hilflos im Bett liegen und auf Andere angewiesen sein möchte. Ein solches Leben erscheint mir nicht lebenswert. Wer weiss, wie ich in 30 Jahren darüber denke?


Um wieder den Schwenk zur Ausgangsfrage zu schaffen:

Nein, ich möchte nicht um jeden Preis am Leben gehalten werden. Wenn mein Zustand nach menschlichem Ermessen unumkehrbar todgeweiht wäre, wünsche ich, dass keine Maßnahmen vorgenommen werden, die den Sterbeprozess verlängern. Mit einer entsprechenden Patientenverfügung habe ich Vorsorge getroffen und Ärzte und Angehörige aus ihrer Zwickmühle befreit.

Trotz dieser Selbstbstimmung lege ich als Christ mein Leben in Gottes Hand. Er wird letztlich entscheiden. So oder so. Sowieso.

Die Vorstellung eines (auch im Jenseits) strafenden Gottes habe ich mir abgewöhnt. Ob mein eher langweilig-durchschnittliches Sündenkonto für die Eintrittskarte in die Hölle reicht, bezweifle ich. Daher bleibt für mich nur der Himmel oder das Nichts. Oder eine große Überraschung... :wink:

Tatyana

#34 Beitrag von Tatyana » 20.11.2008, 07:26

tergram hat geschrieben: Nein, ich möchte nicht um jeden Preis am Leben gehalten werden. Wenn mein Zustand nach menschlichem Ermessen unumkehrbar todgeweiht wäre, wünsche ich, dass keine Maßnahmen vorgenommen werden, die den Sterbeprozess verlängern. Mit einer entsprechenden Patientenverfügung habe ich Vorsorge getroffen und Ärzte und Angehörige aus ihrer Zwickmühle befreit.

Trotz dieser Selbstbstimmung lege ich als Christ mein Leben in Gottes Hand. Er wird letztlich entscheiden. So oder so. Sowieso.

Was ist mit aktiver Sterbehilfe? Wenn du nicht mehr würden leben wollen, würdest du dann immer noch alles in Gottes Hand legen wollen oder wärst du dankbar, wenn dich jemand tatkräftig erlöst, wenn du es nicht selbst tun kannst?

tergram

#35 Beitrag von tergram » 20.11.2008, 08:03

Aktive Sterbehilfe lehne ich für mich (!) ab. (Damit fälle ich kein Urteil über Menschen, die das anders sehen.) Es ist möglich, einem Menschen Schmerzen und Qualen zu ersparen. Grundlage ist beispielsweise das Konsenspapier zur Schmerztherapie :arrow: http://www.stk-ev.de/ Die Methoden der Schmerztherapie werden immer ausgefeilter, so dass ich für aktive Sterbehilfe keine wirkliche Notwendigkeit sehe.

Mir ist aber sehr bewusst, dass meine Erkenntnisse zu diesen "letzten Dingen" subjektiv und beschränkt sind...

Engelchen

#36 Beitrag von Engelchen » 20.11.2008, 08:14

Eure Beiträge sind sehr interessant.
Sie erinnern mich an eine Erfahrung, die ich vor vielen Jahren machte.
Meine Kinder waren noch sehr klein und ich half einer Bekannten ihren Mann zu pflegen. Er hatte einen Hinterwandinfarkt erlitten, wurde reanimiert und litt danach an einer Form des Appallischen Syndroms.
Er konnte weder sprechen, noch laufen, noch essen. Spastiken quälten ihn sehr. Er wurde per Magensonde ernährt und erhielt intensive Pflege.
Tag für Tag und Nacht für Nacht. Er dirigierte uns mit Blicken und teilte uns so seine Wünsche mit. So verlief das ungefähr 1 1/2 Jahre. Eines Tages kam der Doc zum wöchentlichen normalen Krankenbesuch.
Während der Untersuchung plötzlich ein dramatischer Blutdruckabfall.
Der Doc ganz leise zu mir:"Das sieht nicht gut aus. Er geht...."
Die Entscheidung ob Hilfeleistung oder sterben lassen musste innerhalb weniger Sekunden getroffen werden.
Was haben wir gemacht? Wir haben 1 1/2 Stunden schwer geschuftet um ihn am Leben zu erhalten.
Anschließend haben wir auf den Treppenstufen des Hauses noch eine Tasse Kaffee getrunken und waren sehr nachdenklich. Wir alle, die wir ihm einen sanften Tod gegönnt hätten leisteten in diesem Moment seinen Qualen noch Vorschub.
Warum haben wir das gemacht habe ich den alten erfahrenen Doc gefragt.
"Weil er leben wollte."
Dem konnte ich nur uneingeschränkt zustimmen. Das konnte man eindeutig in diesem Augenblick in dem Gesichtsausdruck des Kranken lesen.
Als ich mich ein paar Stunden später von dem Kranken verabschiedete hat er sehr glücklich gelächelt.


Meine Tochter absolviert t z. Zt. ein Praktikum in der Verwaltung eines Pflegeheimes. Dort versucht man die Patienten so lange es irgend geht die Magensonde zu ersparen. Was bei den knappen Finanzen im Gesundheitsbereich nicht immer einfach ist. (Magensonde ist nicht so kostenintensiv) Also müssen auch alle Zivis, Praktikanten, Verwaltungsangestellten usw ran um zu füttern.
Faziniert hat sie eine alte Dame, die seit 14 Jahren nur Brei essen kann und völlig bettlägerig ist.
"Weißt du was die will? Die will einfach nur leben und ist glücklich."

tergram

#37 Beitrag von tergram » 20.11.2008, 09:19

Wie immer im Leben gibt es für alles auch das gegenteilige Beispiel - hier eines aus meinem Umfeld:

Der Ehemann, weit über 80 Jahre und pflegebedürftig, findet seine Ehefrau bewusstlos auf dem Boden liegend vor. Wie lange sie dort schon liegt, weiss er nicht. Er ruft in Panik den Notarzt und ganz knapp gelingt es, die alte Dame wiederzubeleben. Der Sauerstoffmangel im Gehirn hat aber zu schweren Schäden geführt. Die Frau muss in ein Pflegeheim, ihr Mann bleibt unversorgt allein in der Wohnung zurück. Wenige Tage später finden Nachbarn ihn tot auf. Die Obduktion ergibt, dass er tagelang nichts gegessen und getrunken hat. Absicht oder Hilflosigkeit?

Die Frau lebt noch viele Jahre, vollkommen gelähmt, fast sprachunfähig. Bei Besuchen stammelt sie immer wieder "Ach, hättet ihr mich doch damals schon gehen lassen." Dieses Elend zu sehen, ist herzzerreissend. Nach einigen Jahren fällt sie in einen Koma-ähnlichen Zustand, hängt an Schäuchen und Maschinen. Ihr Leben endet mit fast 90 Jahren durch eine Lungenentzündung.

Hätte der Notarzt doch nur wenige Augenblicke gewartet, wäre er nur ein wenig später eingetroffen... Hätte Gott nur einen Augenblick lang entweder weggeschaut oder ganz genau hingeschaut...

Engelchen

#38 Beitrag von Engelchen » 20.11.2008, 10:42

tergram hat geschrieben:Wie immer im Leben gibt es für alles auch das gegenteilige Beispiel - hier eines aus meinem Umfeld:

Der Ehemann, weit über 80 Jahre und pflegebedürftig, findet seine Ehefrau bewusstlos auf dem Boden liegend vor. Wie lange sie dort schon liegt, weiss er nicht. Er ruft in Panik den Notarzt und ganz knapp gelingt es, die alte Dame wiederzubeleben. Der Sauerstoffmangel im Gehirn hat aber zu schweren Schäden geführt. Die Frau muss in ein Pflegeheim, ihr Mann bleibt unversorgt allein in der Wohnung zurück. Wenige Tage später finden Nachbarn ihn tot auf. Die Obduktion ergibt, dass er tagelang nichts gegessen und getrunken hat. Absicht oder Hilflosigkeit?

Die Frau lebt noch viele Jahre, vollkommen gelähmt, fast sprachunfähig. Bei Besuchen stammelt sie immer wieder "Ach, hättet ihr mich doch damals schon gehen lassen." Dieses Elend zu sehen, ist herzzerreissend. Nach einigen Jahren fällt sie in einen Koma-ähnlichen Zustand, hängt an Schäuchen und Maschinen. Ihr Leben endet mit fast 90 Jahren durch eine Lungenentzündung.

Hätte der Notarzt doch nur wenige Augenblicke gewartet, wäre er nur ein wenig später eingetroffen... Hätte Gott nur einen Augenblick lang entweder weggeschaut oder ganz genau hingeschaut...
Nun, das sind die anderen Beispiele.
Beim Ehemann war es sicherlich Absicht. Wenn er fähig war einen Notarzt zu kontaktieren, war er auch fähig sich Hilfe zu holen.
Bei seiner Ehefrau ist eine Ferndiagnose sicherlich nicht so leicht.
Fest steht, das Ärzte und Pflegepersonal in ein rechtliches Dilemma kommen, wenn keine Patientenverfügung vorhanden ist.
Wichtig ist das besonders dann, wenn die Pflege in einem Heim vorgenommen wird.
Aber auch Pflege im häuslichen Umfeld ist nicht unproblematisch.
Im Nachbarort wurde die Ehefrau eines Magenkrebskranken im Endstadium vom Pflegedienst angezeigt, sie hätte ihren Mann verhungern lassen.

Gott schaut keinen Augenblick weg.....
Da bin ich mir ganz sicher.
Im übrigen bin ich diesem älteren Herrn den ich einige Jahre begleiten durfte sehr dankbar. Er hat mich vieles gelehrt.

Dieter

#39 Beitrag von Dieter » 20.11.2008, 11:43

Vor vielen Jahren kannte ich einen Glaubensbruder, der auch an Magenkrebs erkrankt war. Das Essen hat ihm unheimliche Schmerzen verursacht. Da es bereits im Endstadium war, konnte ihm keine Hilfe mehr geschenkt werden.
Er hat seinen Arzt gefragt, was er gegen die Schmerzen unternehmen könne, die jedesmal beim Essen auftreten würden. Dieser entgegnete ihm, daß es hier leider keine Hilfe gebe. Daraufhin hat dieser Bruder für sich entschieden, daß er dann keine Schmerzen mehr habe, denn er würde ab sofort nichts mehr essen.
Dieser Wunsch wurde von allen Beteiligten akzeptiert. Er erhielt keine Zwangsernährung, sondern verschied nach 6 Wochen ohne Schmerzen in seinem Bett zuhause. Er war bis zuletzt geistig vollkommen klar.
Ich vermute mal, daß dies heute wohl kaum mehr ginge. Heute müsste er sicher zwangsernährt werden und unter Schmerzen sterben.

tergram

#40 Beitrag von tergram » 20.11.2008, 11:55

Dieter hat geschrieben:Heute müsste er sicher zwangsernährt werden und unter Schmerzen sterben.
Nein Dieter, das ist falsch. Es hat sich eine Menge gebessert: Die Patientenverfügung regelt, dass jemand nicht gegen seinen Willen zwangsernährt werden darf und die neueren Schmerztherapien sorgen dafür, dass auch stärkste Schmerzen vollkommen genommen werden können.

Der Mann würde heute friedlich schlummernd sterben.


Hier mal ganz Aktuelles zum Thema Palliativversorgung: Umsetzung der Palliativversorgung: „Die ersten Schritte sind gemacht, und der Weg ist vorgezeichnet“
In die bundesdeutsche Palliativversorgung kommt Bewegung – so der einhellige Tenor des 70. Aachener Hospizgesprächs. Fast 450 internationale Teilnehmer aus allen Bereichen der Palliativversorgung waren in Aachen zusammengekommen, um erste Umsetzungsergebnisse der seit 2007 geltenden Gesetzgebung zu diskutieren. Danach hat jeder Bürger im Bedarfsfall Anspruch auf eine spezialisierte ambulante palliativmedizinische Betreuung.
Bei Interesse bitte weiterlesen unter: http://www.journalonko.de/newsview.php?id=2906

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